Winterschlaf

ZWISCHENLUEGETEN 3

IDA OCHSNER

Oh, diese fortwährend kurzen Wintertage, die man am liebsten wie ein Igel in einem Laubhaufen verschlafen möchte, bis der Frühling endgültig ins Land zieht. Wenn ich wieder nur ein bisschen Vogelgezwitscher höre, fühle ich mich wie ein anderer Mensch. Meine Grossmutter tröstete mich jedes Jahr zu Epiphanie: «Es taget doch wieder.» Kürzlich las ich einen Artikel über eine spezielle Traurigkeit, genannt «Winterdepri». Die EU hatte gleich einen neuen Begriff parat: Dieses Leiden heisst ab jetzt «SAD nach ICD-10 BMG 2014». Ob ich zu diesen unglücklich Depressiven gehöre, weiss ich nicht. Aber ich will mich nicht unterkriegen lassen.

Zuerst versuchte ich es mit einer Licht-Kur. Überall in der Wohnung wurden Tageslichtlampen aufgestellt. Um mich abzulenken begann ich, «Der Idiot» zu lesen. Ich wurde immer trübsinniger, nicht wegen meinem SAD, sondern weil Dostojewski so genial schreiben konnte. Die Apotheke zeigte mir einen Schwall Vitamin- D-Präparate. Das teuerste kaufte ich und tatsächlich fühlte ich mich besser, bis unerwartet nach Dreikönigen eine Steuernachzahlung im Briefkasten lag.

Ich landete in einem tiefen, schwarzen Loch. Heiri verstand meine Welt nicht mehr, denn ich wollte nicht mehr kochen! Ich lag im Bett, die Vorhänge zugezogen und ich entschloss mich, den Winter einfach zu verschlafen, nur geplagt von den dringendsten Bedürfnissen, etwa dem Heisshunger auf Nüsse und Schokolade. Doch irgendwann wurde das Schlafen zur Qual und zu einem permanent schlechten Gewissen. Das war die Wende! In kleinen Schritten nahm ich mir die Wohnung vor, damit irgendwann der Frühling kommen kann! *

Ida Ochsner (62) verlobt mit Heiri Strohmayer (65). Dieser ist überglücklich, denn am Stammtisch hat man ihm erklärt, das sei bei den Weibern so …