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Es liegen Welten dazwischen

Es liegen Welten dazwischen Es liegen Welten dazwischen

35 Jahre nach Egg haben in der Lenzerheide die zweiten Junioren-Biathlon-Weltmeisterschaften in der Schweiz stattgefunden

Wenn auch die traditionelle Sportart Biathlon mit der faszinierenden Kombination Langlaufen und Schiessen immer noch dieselbe ist, so hat sich doch im Vergleich der Durchführung der Juniorenweltmeisterschaften 1985 in Egg und dieses Jahr in der Lenzerheide unglaublich viel verändert.

MARLIES MATHIS

Der sogenannte Skihase von Rödöy sei der erste Biathlet der Welt gewesen. In einer Felshöhle der kleinen Insel im Norden Norwegens haben schon 1929 Archäologen rund 5000 Jahre alte Steinzeichnungen eines Skiläufers, der eine gebogene Waffe, vermutlich eine Wurfkeule, mit sich führte, entdeckt. Auch die Kirchenbücher des Bischofs von Uppsala, Schweden, berichten schon Mitte des 16. Jahrhunderts erstmals von der Jagd auf Skiern, und nachweislich haben bereits 1776 in Norwegen Skiwettkämpfe, verbunden mit Schiessen in entsprechenden Anlagen, stattgefunden. Nach einer stetigen Entwicklung ist der Biathlon, die Sportart des modernen Skijägers auf der Loipe und am Schiessstand, nun seit 1960 olympische Disziplin.

Biathlon ist Biathlon

Dem Reiz dieser attraktiven und physisch wie psychisch unglaublich fordernden Kombination erliegen nicht nur Sportler und Sportlerinnen, sondern auch die Zuschauer. So haben denn in den letzten zehn Tagen und speziell am vergangenen Wochenende unzählige Besucher der Jugendund Junioren-Weltmeisterschaften in der Biathlon Arena Lenzerheide, Graubünden, die Loipe gesäumt und die Tribüne, von der aus man beste Sicht auf den Schiessplatz hatte, gefüllt. Auch wenn am Samstag bei wunderbarem Sonnenschein am Nachmittag bei den Juniorinnen im Gegensatz zum Sprint der Junioren vor dem Mittag die über 30 verschiedenen Landesflaggen bereits ziemlich stark im Winde flatterten. Als ob das eigene Flattern der Biathletinnen, sprich das schnelle Atmen und der hohe Puls, nicht schon genug der Herausforderung gewesen wären.

In dieser Beziehung hat sich in den 35 Jahren, als die Junioren- und gleichzeitig Damen-Weltmeisterschaften erstmals in der Schweiz, im kleinen und beschaulichen Egg am Etzel, durchgeführt wurden, nichts geändert. Ansonsten sind jedoch die Dimensionen in allen Bereichen kaum mehr vergleichbar. Als die damals noch sehr junge und initiative Sportgruppe Etzel diese internationalen Titelwettkämpfe organisierte, gab es nebst Einzellauf und Sprint einen Dreier-Staffellauf. Heute kommen noch die Verfolgungsrennen und bei den «Erwachsenen» diverse weitere Staffelarten dazu.

Ausserdem nahmen in der Lenzerheide über 30 Nationen, grösstenteils mit je vier männlichen und weiblichen jungen Sportlern teil, wobei die Schweiz erfreulicherweise auch ein Wörtchen um die vorderen Ränge mitreden konnte. In Egg waren es damals total rund 100 Wettkämpfer, und da fristete diese Sportart in unserem Land noch ein eigentliches Mauerblümchendasein, das heisst, die Handvoll Schweizer musste stets mit Plätzen gegen das Ranglistenende hin vorliebnehmen und stellte weder Juniorinnen noch Damen, die um den Weltmeistertitel mitmischen konnten.

Doch wie heute mit Amy Baserga durften die einheimischen Fans 1985 mit dem Egger Hanspeter Lacher auch einen der Ihren anfeuern, auch wenn er nicht dieselben Erfolge wie die junge Einsiedlerin aufweisen konnte.

Von analog zu digital In Egg wurde dazumal auch von zahlreichen Sportgruppenmitgliedern und Helfern von Hand eine Holzbaracke aufgestellt, mit Schaufeln die Loipe ausgebessert und nivelliert und vom Militär eine temporäre Brücke über die Sihl erstellt, und ansonsten musste das Restaurant Eintracht für eine Einkehr genügen. Alles andere fand draussen statt oder musste, wie beispielsweise das Wachsen, in den Hotels in Einsiedeln erledigt werden.

In der Lenzerheide hinge gen hatte jedes Team seinen eigenen zur Verfügung gestellten Container, davor waren die Mannschaftsbusse stationiert, und das Stadion in der prädestinierten Landschaft ist fix gebaut und bietet ganzjährlich ideale Biathlon- Bedingungen.

Ebenso unvergleichbar ist die Technik. Wird heute auf elektronisch gesteuerte Scheiben geschossen und das Resultat unmittelbar danach auf dem Bildschirm übermittelt, musste in Egg nach jedem Schützen von Hand eine Schnur gezogen werden, um die Scheibe für den nächsten Wettkämpfer bereitzustellen. Und die (Zwischen-) Rangliste musste jeweils mittels einzelner, manuell verschobener Holztäfelchen aktualisiert werden.

Vom Budget und dem Engagement der Sponsoren und der damit verbundenen Publizität und der Anzahl der Zuschauer ganz zu schweigen. Am vergangenen Wochenende übertrug das Schweizer Fernsehen SRF die Weltmeisterschaften in mehrere Länder, und im Sportpanorama vom Sonntag wurde gar ausführlich über die beliebte Wintersportart berichtet.

Der ganze Anlass konnte auf einer Grossleinwand mitverfolgt werden, und die Veranstaltung in der Lenzerheide verkaufte sich bestens, auch um sich damit für die Durchführung von Weltcuprennen zu bewerben. Einzig der junge österreichische Speaker passte mit seiner Sprache, seinem Sprechtempo und seiner nicht gerade hohen Kompetenz nicht so ganz in die Schweizer Biathlon-Landschaft, da hat es gewiss noch Potenzial.

Bezüglich Weltcuprennen hat es der Lenzerheide aber die Sportgruppe Etzel unter der souveränen Leitung ihres damaligen Vereins- und OK-Präsidenten und ehemaligen begeisterten Langläufers und Pöstlers von Egg, Martin Kälin, auch schon vorgemacht, hat sie doch 1982 ebenfalls schon einen Biathlon-Weltcup organisiert, nebst vorangegangenen Schweizermeisterschaften und später dem Alpencup. Dabei standen jeweils gut 100 Helfer im Einsatz, sozusagen aus jedem Haushalt in Egg, während es im Bündnerland von unzähligen Freiwilligen und Funktionären nur so wimmelte und jede noch so kleine Ecke überwacht war.

Noch heute dem Charme erlegen Der Stimmung hingegen tat dies keinen Abbruch, im Gegenteil. Die Atmosphäre war wie schon in Egg einfach sensationell und trotz der Professionalität sehr herzlich, am Samstag wohl nicht auch zuletzt dank der vielen gutgelaunten und motivierenden Kinder mit ihren Schweizer Fähnchen.

Die Einsiedlerin Franziska Keller, selber ehemalige Biathletin, engagierte Trainerin und Mutter von drei ebenfalls aktiven Biathlon- Kindern – Sohn Yanis durfte in der Kategorie Jugend ebenfalls schon WM-Luft schnuppern – und schon seit gut 17 Jahren bei Swiss-Ski im Team Biathlon Breitensport tätig, hatte den Biathlon- Nachwuchs aus der ganzen Schweiz zusammengetrommelt.

So sorgten 60 Kids zusammen mit Betreuern entlang der Strecke für ausgelassene und farbenfrohe Stimmung und einen besonderen Charme, und ausserdem durften sie den erfolgreichsten Biathleten und Biathletinnen an der sogenannten «Flower-Zeremonie » voller Stolz ein Präsent überreichen.

Auch in Egg hatten die Schulkinder ihren Part zur persönlichen und einmaligen Atmosphäre beigetragen, indem sie damals an der schlichten Eröffnungsfeier alle Athleten in ihrer Landessprache willkommen geheissen und jedem ein selbstgemachtes kleines Fotoalbum geschenkt hatten, das zur Freude der Teilnehmer am Ende der Wettkämpfe mit Bildern des Anlasses gefüllt wurde.

Eine besondere Leistung vollbrachte auch der Einsiedler Othmar Kälin. Er, der in Egg in der internationalen fünfköpfigen Jury als Mitglied geamtet hatte und damit für die Durchführung regulärer Wettkämpfe verantwortlich gewesen war und der diesen Posten auch über viele Jahre in der Biathlonszene in ganz Europa ausgeübt hatte, stand auch nach 35 Jahren in der Lenzerheide nochmals als Helfer am Schiessplatz im Einsatz! Er ist wohl der beste Beweis dafür: Wer einmal vom Biathlon- Virus gepackt ist, den lässt er so schnell nicht wieder los.

1985: Der einheimische Junior, der Egger Hanspeter Lacher, voll konzentriert am Liegendschiessen an der Junioren-Biathlon-Weltmeisterschaft 1985.

2020: Die erfolgreiche Einsiedlerin Amy Baserga läuft im Sprintrennen der Juniorinnen in die Biathlon Arena Lenzerheide ein und wird vom Publikum auf der Tribüne lautstark angefeuert.

1985: Heute unvorstellbar: Kalli Kälin verschiebt in Egg von Hand die Holztäfelchen mit den Namen der Wettkämpfer auf der Resultatewand und aktualisiert damit stets die Rangliste.

1985: Das temporäre Biathlon-Stadion in Egg hatte für damalige Verhältnisse bestens genügt, und das herrliche, aber kalte Wetter hatte seinen Teil dazu beigetragen.

Fotos: Archiv 1985 zur Verfügung gestellt

2020: In Sekundenschnelle werden heute Schiessresultate und Zeiten in der Loipe elektronisch übermittelt und schon hat man die aktuelle Zwischenrangliste.

Fotos: Marlies Mathis

2020: Für (farben-)frohe Stimmung sorgte am Samstag der von der engagierten Einsiedler Trainerin Franziska Keller organisierte Biathlon- Nachwuchs aus allen Teilen der Schweiz an den Jugend- und Junioren-Weltmeisterschaften in der Lenzerheide.

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