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«Jeder Mensch hat Kräfte, die er entwickeln möchte»

«Jeder Mensch hat Kräfte, die er entwickeln möchte» «Jeder Mensch hat Kräfte, die er entwickeln möchte»

Im Sommer soll die Privatschule Casa Vitura ihren Betrieb auf dem Katzenstrick in Einsiedeln aufnehmen. Carmen Merluzzi vom Verein für natürliches Lernen gibt Auskunft über das pädagogische Konzept von Casa Vitura: «Das Vertrauen des Kindes in sein Potenzial soll gestärkt werden.»

MAGNUS LEIBUNDGUT

Worin besteht der Unterschied zu den Schulen von Rudolf Steiner, Pestalozzi und Montessori, was das pädagogische Konzept von Casa Vitura betrifft? Der anthroposophisch orientierte Steiner, Pestalozzi und Montessori verfolgen stringente Philosophien mit einem klaren Schema in einem mehr oder weniger definierten Umfeld. Casa Vitura lehnt sich demgegenüber nicht stark an eine bestimmte Schule oder statische Lehre an, sondern orientiert sich frei am Leben, an gemachten Erfahrungen und an den Abläufen der Natur. Ein hauptsächlicher Unterschied besteht darin, dass es im pädagogischen Konzept von Casa Vitura nicht nur um das Individuum allein geht, sondern auch um Beziehung und schliesslich um Lernen in der Gemeinschaft. In welchen Bereichen gibt es Gemeinsamkeiten zwischen dem Konzept Ihrer Privatschule und den Philosophien der genannten Alternativschulen? Just bei Pestalozzi ist der Begriff «Kraft» sehr wichtig. Jeder Mensch hat in sich Kräfte, die er entwickeln möchte. Die Erziehung soll diese Kräfte und Anlagen so herausbilden, dass der Mensch schliesslich zur Sittlichkeit findet. Diesbezüglich sprechen wir in der Casa Vitura von ethischen Grundwerten und verantwortungsbewusstem, nachhaltigem Handeln. Auch bei Steiner und Montessori geht es um den Bauplan, den inneren Lehrplan eines Menschen, der ganz eigen ist und in einer ihm zuträglichen Umgebung leben darf.

Gibt es weitere Parallelen zu anderen Philosophien?

Eine Parallele zu Rosenberg besteht darin, dass sich die Casa Vitura auf eine gewaltfreie Kommunikation konzentriert, in der empathisches Zuhören im Vordergrund steht. Dabei geht es vorwiegend darum, beim Schüler die Fähigkeit zu fördern, sich in einem Team integrieren zu können und lösungsorientiert zu denken: Etwas, was gerade die Wirtschaft aktuell vermehrt von ihren Mitarbeitern fordert. Wie würden Sie das Wort «Vitura » übersetzen? «Vitura» setzt sich zusammen aus «Vita» (Leben, Lebendigkeit) und «Natura» (Natur, natürliches Lernen im Alltag). Unser Logo beinhaltet das Individuum mit seiner Einzigartigkeit als Stamm, Kopf (Geist), Herz (Seele) und Hand (Körper), die idealerweise in einem Gleichgewicht sein sollen als Baumkrone und den Kreis der Gemeinschaft, der diesen Lebens- und Lernbaum umfasst. Der Schulweg ist Bestandteil des pädagogischen Konzepts der Casa Vitura? Das ist in der Tat so. Auch wenn unser Schulhaus auf dem Katzenstrick in Einsiedeln etwas abgelegen und mit dem öffentlichen Verkehr nicht erreichbar ist, ist nicht die Idee, dass Eltern ihre Kinder mit dem Auto in die Schule fahren. Vielmehr soll der Schulweg als Chance wahrgenommen werden, Natur und Gemeinschaft erfahren zu können. Er soll gemeinsam unter die Füsse genommen werden, es handelt sich dementsprechend um einen sozialen Weg. Gibt es eine Turnhalle auf dem Katzenstrick in Einsiedeln? Kinder lieben weiss Gott Turnhallen (lacht). Aber auf dem Katzenstrick hat es nun einmal keine. Selbstverständlich halten wir uns an den Lehrplan 21 – und in diesem ist das Fach Turnen vorgeschrieben. Vorerst werden wir einen Akrobatikraum in Einsiedeln mieten und evaluieren die Möglichkeit, eine Turnhalle im Bezirk Einsiedeln benutzen zu können. Fakt ist, dass in Bewegung zu sein Grundlage unseres pädagogischen Konzepts ist. Unser Schulhaus verfügt über eine grosse Türe, die innen mit aussen verbindet. Turnen kann man auch draussen. Bleiben die Kosten von 1500 Franken pro Monat und Kind bestehen oder sollen Eltern unterstützt werden, die sich die Schule nicht leisten können? Vorerst bleiben diese Kosten etwa bestehen. Wir können lediglich Ermässigungen für Geschwisterkinder anbieten. Allerdings finden wir es schade, wenn Eltern auf unser Angebot verzichten müssen, weil sie zu wenig finanzielle Ressourcen haben. Deswegen ist es unser Ziel, in Zukunft Eltern zu unterstützen, die nicht in der Lage sind, die Kosten selbst tragen zu können. Eine Möglichkeit wäre, einen Gönnerverein zu gründen, der Eltern finanziell unter die Arme greift. Worin besteht der Unterschied der Casa Vitura zu den staatlichen Schulen, was das pädagogische Konzept betrifft? Wesentliche Grundzüge unserer Schule bestehen darin, dass es keine Hausaufgaben, keine Noten und keine Leistungsvergleiche gibt. Casa Vitura orientiert sich in erster Linie am ganz individuellen Lernweg eines jeden Kindes und nicht an den wirtschaftlichen respektive politischen Vorstellungen, wie ein Kind zu sein hat oder wie es werden soll. Das Vertrauen des Kindes in sein eigenes Potenzial wird somit gestärkt. Auch das Evaluieren von persönlichen Lernthemen soll ermöglicht werden. Kinder, die in einer selbstbestimmten, kindorientierten Umgebung lernen dürfen, übernehmen Verantwortung und entwickeln einen gesunden Respekt für ihre Mitmenschen und die Umwelt.

Carmen Merluzzi ist Mitglied im Verein für natürliches Lernen. Dieser lanciert das Projekt einer Privatschule namens Casa Vitura auf dem Katzenstrick in Einsiedeln.

Foto: zvg

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