«Geschlechtergerechte Sprache ist ein Ausdruck von Respekt»: Heute lesen, was morgen im EA steht
Sprache betrifft uns alle – denn täglich reden wir als Männer mit Frauen oder als Frauen mit Männern. «Gendern» will uns animieren, eine geschlechtergerechte Sprache zu verwenden. Das gefällt nicht allen. Mona Birchler, Kommunikationsfachfrau aus Einsiedeln, bezieht im Interview Stellung.
Wolfgang Holz
Frau Birchler, wenn man sagt: «Ich gehe zum Arzt» – ist das aus Ihrer Sicht als Frau unkorrekt mit Blick auf eine geschlechtergerechte Sprache?
Mit Sprache schaffen wir Realitäten und erzeugen Bilder im Kopf. Wenn Sie sagen: «Ich gehe zum Arzt» gehe ich davon aus, der Arzt ist ein Mann. Ist der Arzt jedoch eine Frau, ist es sprachlich unkorrekt, weil unpräzis. Übrigens: Der Duden anerkennt seit Kurzem «Arzt» als «die männliche Form» des Ärzteberufs.
In die vorige Frage hat sich übrigens noch ein weiteres «männliches Wort» eingeschlichen: man. Wie stehts damit? Darf dieses Allerweltswörtchen, das wohl die meisten – ohne gross nachzudenken – heutzutage überhaupt noch guten Wissens verwendet werden?
Laut Wortdefinition ist das Wort «man»: «Jemand, stellvertretend für eine unbestimmte Person». Ich kann Sie also beruhigen. Es gibt keine Busse, wenn Sie nicht «gendern». Sie können sich jedoch fragen, was das Ziel Ihrer Überlegung ist. Von welchen Zielen sprechen Sie? Sie können sich zum Beispiel überlegen, was Sie mit Sprache erreichen wollen – Präzision zum Beispiel. Wen genau wollen Sie ansprechen? Sprache lebt und entwickelt sich, sie ist nicht etwas Starres, das nicht angetastet werden darf. Wie auch immer: Vorzuschreiben, wie man sprechen oder schreiben soll, funktioniert nicht. Aber das Thema polarisiert und es ist relevant. Gewohnheiten zu verändern, kann verunsichern und die Anpassungen sind tatsächlich manchmal skurril. Mir graust vor der Gästin, dem feminisierten Gast. Da gibt es elegantere Lösungen.
Vor 50 Jahren durften Frauen in der Schweiz erstmals wählen, und inzwischen ist es für Frauen normal, dass sie politisch gleichberechtigt sind. Es wurden ja zuletzt viele junge Frauen ins Bundeshaus gewählt. Noch immer beschäftigen dagegen Fragen nach Lohngleichheit und neuerdings Forderungen nach geschlechtergerechterer Sprache unsere Gesellschaft. Wie beurteilen Sie diese Entwicklung?
Frauen spielten in der Öffentlichkeit lange Zeit keine Rolle, das widerspiegelt auch unsere Sprache. Die erwähnten Themen sind nur ein Teil eines gesellschaftlichen Umbruchs, in dem wir uns befinden. Diversität ist eine wertvolle Ressource. Wie meinen Sie das? Eine elementare Facette von Vielfalt betrifft das Geschlecht. Dazu gehört, dass sich die Geschlechter auch in der Sprache wiederfinden. Lange wurden Frauen, wie übrigens auch das dritte Geschlecht, nicht genannt, sondern im «generischen Maskulinum» – die ausschliessliche Verwendung der männlichen Form für alle Geschlechter – mitgemeint. Das geht heute nicht mehr und ist auch eine Frage des Respekts. Wir alle haben verstanden, dass Sprache die Art und Weise beeinflusst, wie wir die Welt wahrnehmen und gestalten. Handelt ein Text von Polizisten und Polizistinnen, dann soll dies auch explizit so geschrieben werden. Nicht um zu verkomplizieren, sondern weil es präzis und fair ist.
Macht das Gendern Frauen zu Opfern?
Das sehe ich nicht so. Im Gegenteil. Unsere Gesellschaft beurteilt und erlebt die Rolle der Frau, wie auch die des Mannes, anders als nur schon vor 15 oder 20 Jahren. Ähnliches gilt zum Beispiel für den Umgang mit Kindern, dem Einkaufsverhalten oder bei Begrüssungsritualen. Gesellschaftliche Veränderungen und Entwicklungen verändern auch die Sprache. Mona Birchler Dass es schwierig ist, meine vertraute Sprache zu ändern, ist nachvollziehbar. Die Gender-Diskussion nervt Frauen wie Männer. Aber es ist nun mal nicht egal, wenn die Hälfte der Bevölkerung nicht genannt wird. Natürlich wäre es angenehm, nicht mehr darüber reden zu müssen. Das wird wohl noch etwas dauern.
Benachteiligt das Gendern die Männer?
Das Streben nach Ausgeglichenheit und Präzision, nicht nur in der Sprache, ist für alle ein Gewinn, für Frauen wie für Männer.
Schlägt das Gendern einen Graben zwischen die Geschlechter?
Das hoffe ich doch nicht. Ich sehe es eher als verbindend und klärend. Deutsch ist nunmal eine Sprache, die eben oft mit dem generischen Maskulinum operiert, weil es trotz «der, die, das» in vielen Fällen keine weibliche Form gibt – wie etwa in den romanischen und slawischen Sprachen.
Wie halten Sie es da ganz praktisch: Lehrerinnen und Lehrer, Studentinnen und Studenten, Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter – oder doch lieber Lehrpersonen, Studierende, Mitarbeitende?
Als Ersatz für die Verwendung der rein männlichen Form gibt es verschiedene Möglichkeiten. Eine davon ist die Paarform, Frauen und Männer werden explizit genannt. Entweder als Vollform – Einsiedlerinnen und Einsiedler – oder als Kurzform: Einsiedler/innen. Für Menschen, die sich mit keinem Geschlecht identifizieren können oder wollen, eignet sich der Gender_Gap und das Gender-Sternchen. Eine weitere Möglichkeit ist der Schrägstrich: Polizist/in. Wir können auch ohne Satzzeichen gendern, indem wir beide Formen ausschreiben: Polizist und Polizistin. Weibliche Endungen in Klammer zu setzten, wie Schüler(innen), erfüllt die sprachliche Gleichbehandlung nicht. In Klammern steht üblicherweise, was auch weggelassen werden kann.
Gibt es auch noch andere Gender-Varianten?
Ja. Praktikable Alternativen sind auch substantivierte Partizipien wie etwa die Lehrerschaft, die Teilnehmenden oder die Mitarbeitenden sowie substantivierte Adjektive: Die Kranken, die Jungen, die Leitung. Das war jetzt ein bisschen wie in der Schule, nicht (lacht)?
Nein, man muss immer offen sein für Neues. Was halten Sie denn vom Gebrauch des Gender-Sternchens?
Das Gender-Sternchen schliesst alle Menschen ein. Das dritte Geschlecht ist ein wichtiger Aspekt, warum wir gendern. In Deutschland beispielsweise gibt es seit 2018 ein drittes Geschlecht auf der Geburtsurkunde. Besonders Medien überlegen sich, welche Menschen mit welchem Text erreicht werden und sichtbar gemacht werden sollen und verwenden dann die entsprechende Form. Meist wird in einem Text nur eine Form verwendet. Ich lese Zeitungen, die seit Jahren konsequent mit dem Stern (Leser*innen) oder mit dem Binnen-I (LeserInnen) arbeiten. Mit der Zeit lesen sich solche «gegenderten» Wörter genauso leicht wie der Rest.
Ich finde das textuell unschön. Aber die zentrale Frage ist ja: Wie wichtig ist der Umgang mit einer genderkorrekten Sprache aus Ihrer Sicht tatsächlich für ein gleichberechtigtes Verhältnis von Mann und Frau?
Sprache informiert und sensibilisiert, wir drücken damit Gefühle, Meinungen und unsere Haltung aus. Eine geschlechtergerechte Sprache ist ein Ausdruck von Respekt, den ich eingangs erwähnte. Ich gewichte den sprachlichen Umgang damit deshalb als gross und wichtig. Es ist heute bereits undenkbar, nur «die Wähler» anzusprechen. Keine Politikerin, kein Politiker würde noch darauf vertrauen, dass wir dann schon checken, dass alle gemeint sind. Es hat sich also bereits einiges verändert. Gendern ist nicht schwierig. Probieren Sie es einfach aus.