Wenn der Vater schon am Morgen Whisky trinkt
Viele Suchterkrankungen bleiben im Verborgenen und damit auch die Probleme jener, die mitbetroffen sind – wie etwa Kinder. Wegschauen sei nie gut, sagen die Fachleute. Im Kanton Schwyz gibt es diverse Anlaufstellen.
«Seit meiner Kindheit hat mein Vater regelmässig Alkohol konsumiert. Als er dann mit etwa fünfzig Jahren seine Arbeit ver-lor, blieb er zu Hause und fing schon um 10 Uhr morgens an, Whisky zu trinken. Ich habe meinen Freunden davon erzählt, und sie wussten nicht, was sie tun sollten, weil sie noch nie eine solche Situation erlebt hatten. Ich wünschte, sie hätten mir einen Ort gegeben, an den ich hätte fliehen können, und dass sie mich wegen dieser Situation nicht ausgelacht hätten.» Mit diesen Worten schildert Daniel (Name geändert) seine Erfahrungen.
Damit ist er nicht alleine. In der Schweiz leben rund 100’000 Kinder mit einem Elternteil, der Alkohol oder eine andere Substanz auf problematische Weise konsumiert. Die Wahrscheinlichkeit, dass diese Kinder später auch ein Suchtproblem ha-ben, ist gemäss Studien sechsmal höher als bei Kindern aus anderen Familien. Die meisten Patienten sind zwischen 40 und 70 Jahre alt In der Erwachsenenpsychiatrie ist Sucht ein grosses Thema. Oberpsychologin Andrea Ebnöther leitet das Suchtteam der Ambulanten Psychiatrie und Psychotherapie Schwyz (APP Schwyz). Im letzten Jahr wurden an den Standorten Goldau, Einsiedeln und Pfäffikon gesamthaft 293 Fälle mit der Hauptdiagnose Sucht behandelt. In den Vorjahren waren es 314 respektive 320. Alkohol sei das häufigste Problem.
«Die meisten Patientinnen und Patienten sind zwischen vierzig und siebzig Jahre alt. Das heisst aber nicht, dass Suchtprobleme nicht bereits in der Jugend ein Thema gewesen sind. Viele Betroffene leiden jahrelang unter ihrer Krankheit, bis der Leidensdruck zu gross wird und sie sich bei uns anmelden.» Generell seien mehr Frau-en als Männer in Behandlung. Für Andrea Ebnöther steht fest, dass unter der Suchterkrankung nicht nur die betroffene Person leide, sondern auch die Partnerin oder der Partner sowie die Kinder. «Das Umfeld möchte helfen, fühlt sich hilflos. Viele Angehörige berichten von einer Ohnmacht und entwickeln oft ein Kontrollverhalten.» Wenn Mädchen zu Hause Verantwortung übernehmen Konflikte, angespannte Stimmung und unberechenbare Situationen – damit seien Kinder von suchtbetroffenen Eltern fast täglich konfrontiert. Oft seien sie mit ihren Gefühlen der Angst, Scham, Schuld und Unsicherheit völlig allein. Nicht selten würden sie ihre Not aus Loyalität zu den Eltern verschweigen.
«Viele Kinder werden auffällig, sind laut, vergessen ständig ihre Hausaufgaben et cetera. Dann gibt es aber auch Kinder, die überangepasst sind. Sie lernen, nicht auf sich aufmerksam zu machen», erklärt André Barmettler, Therapeut Einzel-, Paar- und Familienberatung bei der Triaplus AG Schwyz.
Gerade betroffene Mädchen würden häufig versuchen, dem süchtigen Elternteil zu helfen. «Sie stellen ihre eigenen Bedürfnisse zurück und übernehmen zu Hause Verantwortung.» Ein Verhalten, welches nicht alters- und kindergerecht sei. Betroffene Kinder brauchen Unterstützung Doch was ist zu tun, wenn man als Onkel, Tante, Lehrerin, Nachbarin oder als Fussballtrainer ein solches Verhalten bei Kindern feststellt? «Wegschauen und schweigen wäre falsch. Je nach Situation macht es auch Sinn, sich Unterstützung von Fachpersonen, die mit Suchtproblemen vertraut sind, zu holen.» Es sei immens wich-tig, dass die Sorgen und Nöte der Kinder und Jugendlichen erkannt werden.
«Eine Vertrauensperson ausserhalb der Familie kann ein grosser Schutzfaktor für die betroffenen Kinder sein», betont André Barmettler weiter. Die Kinder brauchen gemäss dem Therapeuten verlässliche Informationen: «Oft wird in den betroffenen Familien vieles totgeschwiegen. Letztendlich muss den Kindern auch vermittelt werden, dass es nicht ihre Aufgabe ist, die Eltern zu heilen.» Das Gespräch mit Suchtbetroffenen suchen Gemäss Experten ist es essenziell, mit welcher Haltung man eine Person anspricht. Man tue dies nicht, um jemanden zu beschämen oder zu beschuldigen.
Wichtig sei, dass der betroffene Elternteil nicht verurteilt werde, sondern aus Sorge angesprochen werde: «Menschen mit Suchtproblemen erkennen ihr Problem häufig nicht als solches an. Wenn man in diesem Fall das Thema Sucht direkt anspricht, kann das kontraproduktiv sein. Aus Scham oder aufgrund anderer Gefühle kann es sein, dass die betroffene Person das Gespräch verweigert. Deshalb geht man auf eine solche Situation besser so ein, dass man die Beobachtungen beschreibt, die man beim Kind macht. Man kann die Sorgen ansprechen, die man hat. Man muss aber nicht unbedingt die Suchtproblematik ansprechen.» Wenn der von einer Suchterkrankung betroffene Elternteil nicht bereits von einer Fachperson unterstützt werde, könne er oder sie dazu ermutigt werden.