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Wie ein Märchler Arzt die Bundesverfassung rettete

Im Rahmen des durch die FDP Schwyz organisierten Themenabends «Schwyz und die Verfassung – eine schwierige Ehe?» wurde die Beziehung des Kantons Schwyz zur Bundesverfassung aus dem Jahr 1848 behandelt.

Um genau 18.48 Uhr begrüsste Urs Rhyner, Präsident der FDP Schwyz, die Gäste im Hotel Bären in Lachen. Die Uhrzeit ist nicht dem durchgetakteten Zeitplan geschuldet, sondern offenbart ein aufmerksames Detail. Vor 175 Jahren, im Jahr 1848, erarbeitete und verabschiedete die «Schweiz» die erste Bundesverfassung. Die Geburtsstunde der modernen Schweiz.

Die FDP Schwyz hat zum Themenabend eingeladen. Anwesend waren auch Julia Cotti, Geschäftsleitungsmitglied, Petra Gössi, Nationalrätin, Heinz Theiler, Präsident des Kantonal- Schwyzerischen Gewerbeverbands, und Rainer J. Schweizer, Staatsrechtler mit Spezialisierung auf Verfassungsgeschichte. Es ging um den Kanton Schwyz und die Verfassung, wie Schwyz dieser stets abgeneigt war und dass deren Retter aus der March stammt.

Der «fast vergessene» Held Auch der Ort der Veranstaltung ist kein Zufall: Organisatorin Julia Cotti erklärte, dass im Hotel Bären in Lachen einst ein Politiker, Arzt und Journalist seine Arztpraxis betrieb. Die Rede ist von Melchior Diethelm: der Star des Abends. Den meisten Schwyzern und Schweizern dürfte der gebürtige Märchler kaum ein Begriff sein. Auch Nationalrätin Petra Gössi gab zu, Diet-helm lange nicht gekannt zu ha-ben. Zu Unrecht: Es ist gut möglich, dass die Schweiz, wie wir sie heute kennen, ohne ihn so nicht existieren würde.

Geboren wurde Melchior Diet-helm, später wegen seiner Haarpracht auch gerne «Landamme Chruselchopf» genannt, im Jahr 1800 in Schübelbach. Im Jahr 1832 wählte man Diethelm zum Bezirkslandammann der March. Noch im gleichen Jahr wurde er Präsident des Verfassungsrats und Statthalter des «Kanton Schwyz äusseres Land». Zwischenzeitlich arbeitete er auch als Chefredakteur der NZZ.

Nach dem Ende des Sonderbundskriegs war der Kanton Schwyz einer der grossen Verlierer. Dem Kanton, Namensgeber des Landes, drohten hohe Reparationszahlungen, es wurde politisch unbedeutend. Melchior Diethelm verlor alle seine Ämter in Schwyz.

Lösung aus Schwyz Im Jahr 1848 vertrat Diethelm den Kanton Schwyz in der Revisionskommission. Die Aufgabe der 23 Vertreter war, eine Revision des im Jahr 1815 erstellten Bundesvertrags zu erarbeiten.

Man konnte sich auf vieles einigen: Unter anderem eine einheitliche Währung, die Abschaffung der Binnenzölle und eine gemeinsame Aussenpolitik. Nur in einem wichtigen Punkt konnte man sich nicht einigen: Wer soll im neuen Staat nun das Sagen haben? Ein Waadtländer schlug ein Einkammerparlament vor – die Nation soll die Kantone in der Souveränität ablösen.

Dieser Vorschlag sorgte für Chaos. Die ganze Revision, somit auch die Gründung der modernen Schweiz, drohte gar gänzlich zu scheitern. Die Lösung schien Diethelm gefunden zu haben: Er beantragte im März 1848 ein Zweikammersystem. Inspiriert hatte ihn das System der Vereinigten Staaten von Amerika.

Obwohl Melchior Diethelm während seiner Lebenszeit nie zugeben wollte, dass er den Antrag auf das Zweikammersystem gestellt hatte, kam die Revisionskommission diesem Antrag nach.

Auferzwungene Verfassung Rainer J. Schweizer betonte, dass die Abstimmung über die neue Bundesverfassung «alles andere als unumstritten war». Der Kanton Schwyz lehnte die Bundesverfassung direkt ab. Und es wird nicht das letzte Schwyzer Nein in der Geschichte bleiben. Angesichts der schweizweiten Resultate blieb Schwyz aber nur noch die Annahme übrig. In gewissen Kantonen durfte das Volk nicht abstimmen. In Luzern zum Beispiel zählte man die enthaltenen Stimmen als «Ja».

Im Schlusswort macht Schweizer klar, dass der Kanton Schwyz schon vor der Verfassung ein umfassender, weitgehend eigenständiger «Staat» war. Im Rahmen des Sonder-bunds zeigte Schwyz bereits seine Abneigung gegenüber einem Bundesstaat. Und trotzdem brauchte es einen Schwyzer, um die Bundesverfassung zu ret-ten. Schwyz und die Verfassung – eben eine «schwierige Ehe».

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