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Hungrige Kinder lernen nicht

Hungrige Kinder lernen nicht Hungrige Kinder lernen nicht

BRIEF AUS OSTTIMOR

Für Schweizer Verhältnisse dauert es in einem Restaurant in Osttimor überdurchschnittlich lange, bis das Servicepersonal die Bestellung notiert hat. Auch beim Bezahlen der Rechnung braucht es gefühlt eine Ewigkeit, bis das Rückgeld – trotz Taschenrechner – berechnet ist und die korrekten Münzen zusammengesucht sind. Der Service ist äusserst freundlich, jedoch zeigt diese Alltagssituation exemplarisch ein Problem auf: Viele Timoresen können kaum lesen, schreiben und rechnen.

Zwar wird der Grossteil der Kinder eingeschult, lernt aber kaum etwas. Jedes zweite Kind kann am Ende der ersten Klasse kein einziges Wort erkennen. Die Ursachen dafür sind vielfältig: Zu wenig Lehrpersonen und überfüllte Klassenzimmer mit mehr als 40 Schülerinnen und Schülern sind nur zwei davon. Viele Kinder fehlen zudem im Unterricht, weil sie auf dem Markt oder bei der Kaffeeernte mithelfen müssen. Überdurchschnittlich davon betroffen sind Kinder aus Familien mit geringem Einkommen in ländlichen Gebieten. Deren Ernteerträge reichen nicht aus, um ihre Kinder ausreichend zu ernähren.

Mangelernährte Kinder lernen erwiesenermassen schlechter und verdienen später als Erwachsene weniger. Dies wiederum erhöht das Schicksal, dass die nachfolgende Generation ebenfalls auf dem Feld mitanpacken muss, anstatt die Schulbank zu drücken. Ein Teufelskreis!

Seit die indische Regierung im Juli 2023 aufgrund des El Niño-Wetterphänomens ein Verbot für die Ausfuhr von Reis verhängt hat, sind die Reispreise weltweit explodiert. Darum gibt der timoresische Staat allen Schülern nach dem Unterricht eine Portion Reis mit Bohnen und einem gekochten Ei ab. Für viele Kinder ist dies die einzige Mahlzeit des Tages. Pro Kind und Tag sind dafür 75 Gramm Reis oder umgerechnet 20 Rappen einberechnet. Diese Investition erhöht die Chance, dass die Kinder zur Schule kommen und ausreichend ernährt werden.

Die Situation hier in Osttimor zeigt auf, wie in einer globalisierten Welt die Bildung von Kindern und letztendlich die Zukunft eines Landes vom globalen Klima und dessen Veränderungen beeinflusst werden. Osttimor weist weltweit einen der geringsten ökologischen Fussabdrücke aus, trägt damit höchstens marginal zur Veränderung des Klimas bei, ist aber überdurchschnittlich davon betroffen.

* Die Einsiedlerin Junia Landtwing (*1995) ist ab Mitte März 2023 während zwölf Monaten bei der Weltbank in Dili, Osttimor, stationiert. Dabei ist sie in Entwicklungs- und Aufbauprojekte in den Bereichen Gesundheit und Bildung involviert. Von ihrer Arbeit, ihren Erfahrungen und Erlebnissen berichtet sie hier in mehr oder weniger regelmässigen Abständen.

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