Als die Znünipause auch mal einen ganzen Tag dauern durfte
Toni Kälin aus Gross ist nach fünf Jahrzehnten im Baugewerbe pensioniert. Ein Einblick in rauere Zeiten, ehrliches Handwerk und viele spannende Projekte.
1974, halb sieben Uhr morgens auf einer Baustelle in Rothenthurm: Hier werden gerade unter der strengen und schroffen Aufsicht eines italienischen Poliers ein Schulhaus und ein Hallenbad gebaut. Es ist der erste Arbeitstag des damals 16-jährigen Toni Kälin aus Gross, der gerade seine Lehre als Maurer bei der Firma Pius Kälin (Teil der Käppeli Gruppe) begonnen hatte. «Mein Onkel aus Zürich meinte damals, ich solle doch Schuhverkäufer lernen. Schuhe brauche es doch immer, die Schweiz sei ja mehr oder weniger gebaut …», blickt Toni Kälin schmunzelnd in die Vergangenheit. Der frisch Pensionierte hatte aber einen anderen Plan: Er wollte Maurer lernen, um später einmal sein eigenes Haus zu bauen! Dieser Traum, den er schon als kleiner Bub hatte, ging neun Jahre später in Erfüllung.
Andere Zeiten
Damals arbeitete man auf der Baustelle von 6.30 Uhr morgens bis 18 Uhr abends. «Das war am Anfang streng, doch mit der Zeit habe ich mich daran gewöhnt», sagt Kälin, der immer viel Freude am Schaffen hatte und sich durch die Zusammenarbeit mit vielen Italienern gar ein paar Brocken Italienisch aneignete.
Ausserdem habe man als Maurer viele Weiterbildungsmöglichkeiten. Diese nutzte auch Toni Kälin und absolvierte 1983 die Vorarbeiterschule. «Mein Arbeitgeber hat mich damals dazu überredet, ich wollte eigentlich immer draussen arbeiten.» Rund zehn Jahre später, Anfang der 90er-Jahre, kamen die Polierschule und die Ausbildung zum Bauführer hinzu. «Ich ging nie gerne in die Schule und habe sehr streng gelernt. Ich musste für diese Ausbildungen kämpfen, dass es klappte.» Zurück zur Baustelle der 70er-Jahre Einer der markantesten Unterschiede zur damaligen Arbeit auf dem Bau war der Alkoholkonsum. «Früher kam die Brauerei Rosengarten zweimal in der Woche auf der Baustelle vorbei. Zum Znüni hat man ein Bier getrunken. Wenn man das als junger Maurer nicht mitgemacht hat, war man ein Weichei. » Toni Kälin hat dazumal gerne ein Bier während der Arbeit getrunken. Normal waren es zwei, drei Bier pro Tag. «Man hat es damals wahrscheinlich auch bes-ser vertragen, weil man ja immer eines getrunken hat. Wir hatten damals einen Baustellenmagaziner, der morgens und nachmittags zweimal die Runde mach-te mit einem Kübel voll Eis, Bier und Sinalco.» Für Toni selbst habe der Bierkonsum nie zu Problemen geführt, es gab aber welche, die mit der Zeit abhängig wurden und auch mal eine Kiste pro Tag tranken.
meint er dazu. Selbstverständlich habe man dies nicht als Arbeitszeit abgerechnet. Heutzutage wird bei fast jedem Wetter gearbeitet, wo man damals schneller die Arbeit stehen liess, bis das Wetter sich besserte.
Stolz und Wandel Stolz ist Toni Kälin, dass er nie einen Unfall hatte und auch nie vor Gericht musste. Dies sei in diesem langen Zeitraum nicht selbstverständlich. Die Sicherheit sei damals, im Vergleich zu heute, zwar zweitrangig gewesen, doch man habe deshalb auch besser aufgepasst.
Zehn bis elf Stunden waren im Sommer die normalen Arbeitstage. Im Winter ging man dafür auch mal auf die Skier, wenn es schneite.
Wechsel
«Aus heiterem Himmel», wie Toni Kälin es beschreibt, kam es damals zum Wechsel aus der Käppeli- Gruppe, in der er 29 Jahre lang tätig war, zur Firma Föllmi AG Bauunternehmung. «Der damalige Chef der Firma Föllmi AG, Jürg Nussbaumer, kick-te mich auf der Baustelle an, ob ich wechseln möchte. Ich dachte mir, das wäre etwas.» Als Toni Kälin mit diesen Neuigkeiten zu seiner Frau ging, meinte diese nur: «Geht’s noch, das kannst du doch nicht machen.» Er machte es trotzdem.
Vom Kloster in die Grossstadt
Als Bauführer durfte Toni Kälin viele spannende Projekte lei-ten. Darunter zum Beispiel der Bau der Unterkirche des Klosters Einsiedeln. «In weit über 100 Etappen haben wir das bestehende Fundament unterfangen. » Ein ganz anderes Projekt und ein ganz besonderes High-light in seiner Karriere war der Umbau des Seedammcenters in Pfäffikon SZ und der Migros in der Stadt Zürich an der Löwenstrasse. «Das war ein siebenstöckiges Gebäude mit einem Lastwagenlift, der drei Stockwerke nach unten ging. Der Auftrag wurde immer grösser. Zur Spitzenzeit waren 60 Leute auf der Baustelle», erinnert sich Kälin zurück, der so sehr mit der Baustelle beschäftigt war, dass seine Tochter gar einen Brief an seinen Chef verfasste, dass ihr Vater zu viel am Schaffen war. «Es war eine schwierige Zeit, das muss ich schon sagen. Doch hinter einem starken Mann steht eine starke Frau. So hat es geklappt. »
Ein neues Kapitel
Toni Kälin hat in den letzten fünf Jahren pflichtbewusst seinen Nachfolger Fabian Nauer aufgebaut, reduzierte sein Pensum die letzten neun Monate und konnte so mit einem guten Gefühl in Rente gehen.
Angesprochen auf das Bauwesen in Einsiedeln erwähnt Toni Kälin lobend, dass vermehrt auch Industriebauten realisiert werden und nicht nur Wohnungen. Für die Zukunft des Bauwesens wünscht sich Toni Kälin, dass der Handwerker wieder mehr geschätzt wird. «Ich wünsche mir, dass die Jungen wieder Maurer lernen.» Auf seine persönliche Zukunft und Gegenwart angesprochen, freut sich der engagierte Grosser, viel Zeit mit seiner Familie verbringen zu können. Er ist aktiv im Sport Club Gross, hatte vor 25 Jahren die Idee, den Langlaufplausch mit den Kindern und Jugendlichen durchzuführen, wo er immer noch aktiv mithilft, ist Präsident der Wuhrkorporation Grossbach und vieles mehr. «Mir wird es sicher nie langweilig», betont er zum Schluss.
Foto: Lukas Schumacher