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«Das Kind wird in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen und beurteilt»

«Das Kind wird in seiner Ganzheitlichkeit  wahrgenommen und beurteilt» «Das Kind wird in seiner Ganzheitlichkeit  wahrgenommen und beurteilt»

Marco Wanner, Abteilungsleiter Schulentwicklung und -betrieb im Amt für Volksschulen und Sport des Kantons Schwyz, gibt Auskunft über das neue Beurteilungsreglement, das den Eltern in unserer Region vorgestellt wird.

In mehreren Informationsabenden in der ganzen Region gab (und gibt) Marco Wanner den interessierten Eltern Auskunft über das neue Beurteilungsreglement. Dieses geht auf die Ergebnisse einer vom Erziehungsrat im September 2019 eingesetzten Arbeitsgruppe zurück. Sie hatte den Auftrag, die kantonalen Rahmenbedingungen im Bereich Beurteilung so anzupassen, dass die Qualität und Verlässlichkeit der Beurteilung sowie die Vergleichbarkeit der Zeugnisse sichergestellt werden können.

Das frühere Reglement zur Beurteilung stammt aus der Zeit vor Umsetzung des Lehrplans 21. Die neue Version ist auf die Kompetenzorientierung gemäss Lehrplan 21 ausgerichtet. Die Entwicklung der Persönlichkeit und die Lernunterstützung stehen im Zentrum. Um die Qualität der Beurteilung zu verbessern, wird das neue System der ganzheitlichen Beurteilung auf drei Elemente aufgeteilt: Zeugnis, Standortgespräch und Schullaufbahnentscheid.

An einigen Schulen trat das Reglement bereits auf das Schuljahr 2023/2024 in Kraft, nun wird es für alle Schwyzer Volksschulen obligatorisch und wird somit auch an den Einsiedlern, Ybrigern und Rothenthurmer Schulen eingeführt. Es gibt im Kanton Schwyz ein neues Beurteilungssystem. Wie unterscheidet sich dieses vom bisherigen? Das neue Beurteilungsreglement ist in seinem Grundsatz förderorientiert. Das heisst, es zielt primär auf die Förderung und Entwicklung der Schülerinnen und Schüler ab. Gemäss Lehrplan 21 muss summativ (was leistet mein Kind), formativ (wie lernt mein Kind) und prognostisch (welchen Weg geht mein Kind) beurteilt werden. Das neue Reglement wird allen drei Beurteilungsformen gerecht, während das abgelöste Promotionsreglement nur auf die summative Beurteilung ausgerichtet war.

Und weshalb brauchte es überhaupt ein neues Reglement? Mit der Einführung des Lehr-plans 21 haben sich die Anforderungen an die Schülerinnen und Schüler verändert. Ebenfalls hat sich der Unterricht weiterentwickelt. Durch die Kompetenzorientierung wurde der Unterricht individualisierter. Das alte Promotionsreglement hat mit seiner Ausrichtung nicht mehr auf die neue Kompetenzorientierung gepasst. Man wusste bereits bei der Einführung des Lehrplans 21, dass die Beurteilungsstrukturen angepasst werden müssen. Bewusst, um eine zu hohe Belastung für die Lehrpersonen in der Einführungsphase zu vermeiden, wurden die Beurteilungsstrukturen nicht gleichzeitig wie die Lehrplaneinführung gelegt. Es gab viel zu Lesen für die Lehrpersonen: Das neue Reglement, Vollzugsvorschriften, Leitfäden und viele weitere Informationsunterlagen. Hat da überhaupt noch jemand den Durchblick? Die Lehrpersonen wurden in das neue Reglement eingeführt. Es ist nicht so, dass sie sich aufgrund der Reglemente und Leitfäden in die Thematik einarbeiten müssen. Die Papiere, welche erarbeitet wurden, dienen den Lehrpersonen als Stütze in der täglichen Arbeit. Sie können zu einzelnen Themen und Bereichen nachschlagen, Anleitungen für Umsetzungen finden und vie-les mehr. Weshalb leiten Sie diese Infor-mationsabende?

Ich bin seit Beginn der Überarbeitung der Beurteilungsstrukturen in der Projektgruppe und in der Steuerung der Umsetzung. Durch das vertiefte Wissen im Bereich Beurteilung und in meiner Funktion als Abteilungsleitung Schulentwicklung und -betrieb beim Amt für Volksschulen und Sport (AVS) leite ich diese Abende und kann auf die Fragen der Erziehungsberechtigten eingehen. Wie erlebten Sie bisher die Reaktionen der Erziehungsberechtigten?

Die Reaktionen zur pädagogischen Ausrichtung waren vonseiten der Erziehungsberechtigten grossmehrheitlich positiv. Es gab Bedenken, die vor allem die Ressourcen und die konkrete Umsetzung betrafen. Auch kritische Fragen, die durchaus ihre Berechtigung haben, wurden gestellt und konnten aus meiner Sicht für die Erziehungsberechtigten zufriedenstellend beantwortet werden. Abschliessend kann man sagen, dass die Stimmung an den drei Abenden in Einsiedeln sehr angenehm war. Wie viele Schulen führten das System bereits auf das laufende Schuljahr ein? Etwa ein Drittel der Schulen im Kanton Schwyz sind im Schuljahr 2023/2024 bereits mit dem neuen Reglement gestartet. Die restlichen Schulen star-ten jetzt im August 2024. Wie waren die Erfahrungen von diesen Schulen? Die Rückmeldungen aus den Schulen, welche bereits gestartet sind, sind durchaus positiv. Der Mehraufwand wird angeführt, ebenfalls stellt die Umstellung auf ein neues digitales Beurteilungstool die Lehrpersonen noch vor Herausforderungen. Der pädagogische Mehrwert wird aber erkannt. Anpassungen sind bereits vorgenommen worden. Vor allem im Bereich des Beurteilungstools, um die Arbeit der Lehrpersonen zu erleichtern. Wie setzen die verschiedenen Schulen das neue System um? Die kantonalen Rahmenbedingungen sind umzusetzen. Innerhalb dieser Rahmenbedingungen sind die Schulen frei in der lokalen Umsetzung. Ein paar zwingende Eckpfeiler wie zum Beispiel Standortgespräch, Zeugnis, Übertritt und so weiter sind vom Ablauf kantonal einheitlich vorgegeben. Gibt es ein solches Reglement auch in anderen Kantonen? Ja, Glarus und Appenzell waren bereits früher auf diesem Weg. Diese Reglemente dienten für unser Reglement als Basis. Weitere Kantone haben ähnliche Ansätze gewählt. Aktuell ist in vielen Kantonen der Weg zur förderorientierten Beurteilung der gewählte Weg. Wie wurden die Lehrpersonen auf den Wechsel vorbereitet? Die Lehrpersonen waren zuerst in der Projektgruppe eingebunden und als Vernehmlassungspartner einbezogen. In kantonalen Weiterbildungen wurden sie auf den Wechsel vorbereitet. Viele Schulen haben zusätzlich noch lokale Konzepte erarbeitet und weitere Weiterbildungen durchgeführt. Mit Materialien (Leitfaden, Handreichung und so weiter) wird der Umsetzungsprozess unterstützt. Für die Arbeit mit dem Beurteilungstool haben wir ein E-Learning bereitgestellt. Zusätzlich haben die Lehrpersonen einen Zugang zu einer Plattform, auf welcher ihnen viele Materialien zur Unterstützung in der Umsetzung zur Verfügung gestellt werden.

Was müssen Erziehungsberechtigte über das neue Reglement wissen? Für die Erziehungsberechtigten haben wir die bereits angesprochenen Informationsveranstaltungen. Zusätzlich finden sich auf der Webseite des Kantons (www. sz.ch > Verwaltung > Bildungsdepartement > Amt für Volksschulen und Sport > Unterricht > >Beurteilungsreglement) Hinweise für Erziehungsberechtigte, wo sie alle relevanten Informationen zur neuen Beurteilung finden. Und wie werden die Schülerinnen und Schüler ins neue System eingeleitet? Die Einführung für die Schülerinnen und Schüler erfolgt vor Ort durch die Schule. Für die Schülerinnen und Schüler ist vor allem die lokale Umsetzung relevant. Welche Vorteile hat das neue Reglement? Lehrpersonen nehmen das Kind in seiner Ganzheitlichkeit war. Die Rolle der Lehrperson wird angereichert mit Aufgaben als Lernbegleitung oder Lerncoach. Die Erziehungsberechtigten erhalten viel gezieltere und detailliertere Rückmeldungen über ihr Kind. Sie erfahren, dass die Förderung im Zentrum steht und nicht primär die Selektion. Die Schülerinnen und Schüler haben die Möglichkeit und die Zeit, Fehler zu machen, aus diesen Fehlern zu lernen, ohne dass der Druck einer «nicht Promotion» im Raum steht. Die Lernfreude bleibt länger erhalten und sie werden optimal auf die Herausforderungen vorbereitet.

Und welche Nachteile?

Für die Lehrpersonen bedeutet die Umstellung in einer ersten Phase einen zeitlichen Mehraufwand. Diese Ressourcen könnten eine Belastung darstellen. Für die Erziehungsberechtigten ist es eine Umstellung, da die Rückmeldungen von der Form der Note, welche sie gewöhnt sind, abweichen kann. Diese Abweichung vom Gewohnten kann Verunsicherungen auslösen. Die gemachten Erfahrungen zeigen, dass für die Schülerinnen und Schüler keine Nachteile in der Förderorientierung entstehen. Sie sprechen den Mehraufwand für die Lehrpersonen an. Wie wirkt sich das neue Reglement denn auf die Auslastung der Lehrpersonen aus? Gerade in der Einführungsphase ist jede Umstellung auf etwas Neues mit Mehraufwand verbunden. Lehrpersonen, welche mit der Einführung des Lehrplans 21 ihren Unterricht auf die Kompetenzorientierung angepasst ha-ben, fällt die Umsetzung des neuen Beurteilungsreglements sicherlich einfacher. Die ganzheitliche Beurteilung der einzelnen Schülerinnen und Schüler ist sicherlich aufwendiger und die Beurteilung ist oft eine gemeinsame Aufgabe aller Lehrpersonen, die mit dem Kind arbeiten. Neu ist ein jährliches Standortgespräch vorgeschrieben. Inwiefern unterscheidet sich das zum früheren «Elterngespräch»? Die Grundlage für das Standortgespräch sind individuelle auf den Schüler oder die Schülerin abgestimmte Standortgesprächsbogen. Das Gespräch dient der Förderung des Schülers. Anhand von ausgewählten Punkten, wo das Kind eine besondere Stärke oder noch Entwicklungspotenzial zeigt, werden Ziele für die nächste Beurteilungsperiode festgelegt. Es werden also nicht Leistungen oder Noten besprochen, sondern der Fokus wird auf die Förderung des Kindes gelegt. «Wo steht das Kind» – «Wo will es hin» – «Welches sind die Schritte, die auf diesem Weg gemacht werden müssen». Zyklus I und II (Kindergarten und Primarschule) werden neu nur noch ein Jahreszeugnis erhalten. Was wird sich bezüglich Zeugnis sonst noch ändern? Es wird neu nur noch Ende der 3., 4., 5. und 6. Klasse ein Zeugnis mit Noten in den Fächern ausgestellt. Im 1. Zyklus gibt es keine Fachbeurteilung mit Noten. Ebenfalls neu ist, dass keine Durchschnitte mehr im Zeugnis erscheinen. Auf den Klassendurchschnitt als nichts aussagenden Sozialvergleich wird verzichtet. Ebenfalls gibt es keinen Promotionsschnitt mehr, da die Schullaufbahnentscheide aufgrund einer Gesamtbeurteilung gefällt werden. Das Kind wird in seiner Ganzheitlichkeit wahrgenommen und beurteilt. Welche Ziele verfolgt der Kanton Schwyz mit der Umsetzung des neuen Reglements? Das Hauptziel ist immer, die Kinder und Jugendlichen in ihrer Entwicklung optimal zu fördern und sie bestmöglich auf die Herausforderungen der Gesellschaft und der Arbeitswelt vorzubereiten. So ist dies auch bei der Einführung der neuen Beurteilungsstrukturen. Wir sind überzeugt, dass die Lernfreude der Schülerinnen und Schüler gesteigert wird und länger erhalten bleibt.

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