Ohne Smartphone leben – so funktionierts
15 Jahre lang schaute die Einsiedlerin Rachele de Caro auf ihren Bildschirm – und kann sich an nichts Wichtiges erinnern. Seit sie darauf verzichtet, hat sich eine neue Welt aufgetan.
Ob das Ding eigentlich funktioniere, fragte mich letzthin ein Gspänli meiner Kinder, als ich mein neues, altes Gerät hervornahm. Er meinte wohl, dass es sich dabei um eine Art Spielzeug handelt. Dabei war es nur mein Mobiltelefon – ein altes Klapphandy, mit dem ich mein Smart-phone vor einem Jahr ersetzte.
Seither bin ich offline unterwegs. Weder bin ich Teil einer Bewegung, noch gehe ich mit anderen Smartphone-Verweigerern im Park spazieren. Ich verbringe auch keine Auszeiten in organisierten Digital-Detox Camps und gehöre auch nicht zur Generation Z. Nein, ich habe mich vor einem Jahr spontan dazu entschieden, ganz für mich allein, meinem ständigen Begleiter Lebewohl zu sagen und stattdessen ein simples Mobiltelefon zu benutzen.
Die Gründe dafür sind einfach, wenn auch nicht überraschend. Erstens hatte ich die erschütternde Erkenntnis, dass ich süchtig bin nach dem Ding. Zweitens fühlte ich mich zusehends als schlechtes Vorbild meinen Kindern gegenüber. Und drittens erschienen mir die fünfzehn Jahre, die ich an diesem Gerät schon hing, in der Retrospektive als pure Zeitvergeudung, von der nicht viel mehr übrig geblieben ist als automatisierte Griffe und Blicke.
Aus evolutionsbiologischer Sicht kommt es für mich gar einer Degeneration des Menschen gleich, aber ich will nicht allzu apokalyptisch werden. Trotzdem denke ich dabei nicht nur an körperliche Verkümmerungen, sondern insbesondere auch an geistige. Die Worte des österreichischen Philosophen Karl Paul Liessmann bestärkten meinen Entscheid, sie beschreiben das Problem trefflich: «Wir haben immer weniger im Kopf und das Wissen hinterlässt auch keine Spuren mehr in unserer Seele. » Stimmt, das will ich mit Bestimmtheit nicht.
Meine Erleuchtung erfolgte also in drei Akten und war umfassend – für mich die Voraussetzung für einen erfolgreichen Ausstieg. Denn ähnlich wie beim Rauchen gibt es auch beim Entzug des Smartphones keinen Erfolg ohne Einsicht.
Bereits die rein organisatorischen Abläufe waren interessantes Neuland für mich und zugleich lustige Lebenserfahrung. Angefangen vom irritierten Verkäufer im Laden, den ich nach einem simplen Mobiltelefon frag-te, über den unfreiwillig lustigen Ratschlag eines Callcenter-Mitarbeiters («Ich würde Ihnen in der heutigen Zeit wirklich empfehlen, ein Smartphone anzuschaffen. ») bis hin zur Bestellung eines Hilfsgeräts, das ich neu für den Zugang zum E-Ban-king brauchte. Manchmal fühlte es sich doch ein bisschen apokalyptisch an, weil ich eine Welt verliess, in der durchaus so einiges los war und ich viele Freundinnen und Freunde hatte – und mich auf eine scheinbar einsame Reise einliess, deren Ziel ich nicht kannte. In mehreren Chats verabschiedete ich mich und begründete meinen Entscheid – die Reaktionen reichten von grossem Unverständnis und gutgemeinten Ratschlägen («Das ist der falsche Weg, du solltest deine Nutzung einfach bewusst mässigen.») bis zu echtem Interesse («Wie willst du das schaffen? Könnte ich das wohl auch?»). Da Letzteres mit Abstand die häufigste Reaktion war, wusste ich, dass ich nicht alleine bin mit dem Problem.
Dann war es so weit, ich wagte den Absprung. SIM-Karte beim Smartphone raus und beim Klapphandy wieder rein. Die ersten Tage waren etwas holprig und geprägt von administrativen Aufwänden. So muss-te ich zum Beispiel meine 150 Kontakte neu manuell eingeben und einzeln abspeichern. Nach den wichtigsten 20 hörte ich auf. Ein Ausmisten wäre ohnehin schon lange nötig gewesen. Auch fehlte mir etwas die Musik zu Hause, die ich immer über das Smartphone und die Box laufen liess. Es war ungewohnt, anders – und doch spannend. Alternativen waren schnell gefunden. Schon nach kurzer Zeit wurde das Neue zum Normalen und das vormals Normale erschien mir nur noch skurril: Teenies, die beim Laufen stets gebückt nach unten auf den Bildschirm schauen statt auf die Strasse. Mütter, die beim Stillen in ihrem Handy scrollen. Freunde, die sich tref-fen, aber nicht miteinander re-den und lieber gemeinsam einsam sind. Reiserückkehrer, die statt ihre Geschichten zu erzählen nur noch ein Foto nach dem andern wegwischen. Wanderinnen, die im Zug in ihre Geräte schauen statt nach draussen in die Bergwelt. So normal dies auch für mich einmal war, so unwirklich und unsinnig kam mir das alles plötzlich vor.
Das Leben geht nicht unter ohne Smartphone – und so viel, wie viele es wohl fürchten, verändert sich auch nicht. Das Internet benutze ich nach wie vor, zu Hause oder im Büro, einfach nicht mehr unterwegs. Aus dem Haus zu gehen, ohne die ganze Welt in der Hosentasche zu ha-ben, ist kein Verlust – sondern eine Befreiung. Es verschafft mir viel neue Lebenszeit, die ich bewusst einsetzen kann: für die Kinder, für mich persönlich, für ungestörte und ununterbrochene Gespräche mit Freundinnen, für überraschende Beobachtungen, um Bücher oder Zeitungen zu lesen oder auch nur mal zu warten und innezuhalten.
Sie haben sicher schon viele Gründe im Kopf, warum ein Wechsel bei Ihnen nicht funktionieren würde. Ich kann es mir gut vorstellen – und die Einwände dank meiner Erfahrung vielleicht auch widerlegen: 1. «Ohne meinen mobilen Kalender wäre ich aufgeschmissen!» Viele Menschen haben ihr ganzes Leben in diesem Kalender verplant und sind davon abhängig. Ich war es nie. Ein richtiger Kalender war mir schon immer sympathischer. Man kann sie in Papeterien weiterhin kaufen. Und anstatt Termine immer in Echtzeit abzugleichen, reicht es hie und da auch, dies am Abend zu tun. 2. «Ich würde die Kamera vermissen. »
Nach den Kleinkindjahren von drei Kindern und unzähligen Bildern bleiben die schönsten Erinnerungen doch in meinem Kopf. Hie und da sowie zu besonderen Anlässen nehme ich heute eine richtige Kamera mit und halte ihre Abenteuer fest. Auch bei Fotos ist weniger oftmals mehr.
3. «Was ist mit all den Chats? Wie bekommst du alles mit?» Ich war in gefühlt hundert Chatgruppen, manche davon wichtiger, andere weniger. Neu stehe ich in der Holschuld, das heisst, ich muss mich selber um Informationen aus meinem Freundes- und Bekanntenkreis kümmern. Deshalb bin ich froh um ein paar Helferinnen, die mir die wichtigsten Sachen mitteilen. Einige Dinge gehen dabei auch vergessen, aber das ärgert mich kaum – weil man auch hier merkt, dass viele Sachen eigentlich gar nicht so wichtig sind.
Das Einzige, was mich etwas ärgert – ich gebe es zu – ist, dass das Schreiben auf dem Klapphandy viel umständlicher ist und länger dauert. Es ist geradezu zermürbend. Das hat dazu geführt, dass ich weniger schreibe, länger habe um zu antworten – oder öfters einfach anrufe.
Ansonsten lässt es sich gut leben so ohne ständige, digitale Verbindung zur Aussenwelt. Es ist einfach keine Option mehr, andauernd aufs Smartphone zu schauen. Das Leben passiert vor meinen Augen im Hier und Jetzt. Einzig der Anruf-Ton lässt mich ab und an aus meiner neu gewonnenen Idylle auftauchen und versetzt mich und alle um mich herum in Alarmbereitschaft. Der Ton, der nicht geändert werden kann, erreicht auch Menschen mit schwerer Hörschwäche.
Es sind diese Situationen, sowie die grossen Augen und erstarrten Gesichter, wenn ich mein Gerät aus der Tasche nehme, die mich zum Lachen brin-gen und mich heute noch daran erinnern, dass ich vor einem Jahr diese Entscheidung getroffen und sie tatsächlich noch keine Minute bereut habe.
Rachele De Caro ist Herausgeberin der Édition De Caro, eines jungen Sachbuchverlages in Einsiedeln.