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Das Schwarzkunstwerk in Einsiedeln: «12 Punkt sind ein Cicero»

Das Schwarzkunstwerk in Einsiedeln:  «12 Punkt sind ein Cicero» Das Schwarzkunstwerk in Einsiedeln:  «12 Punkt sind ein Cicero»

Seit fast zwei Jahrzehnten betreibt die Vereinigung «Schwarzkunstwerk» eine Druckerei im Kloster Einsiedeln. In Kursen und Führungen wird dort das Wissen über die «Schwarze Kunst» bewahrt und weitergegeben.

Wer kann sich heute vorstellen, dass noch bis vor vierzig Jahren zur Herstellung einer einzigen Zeitungs- oder Buchseite eine ganze Schar von Handwerksleuten benötigt wurde? Heute übernehmen ein bis zwei Personen am Computer deren Arbeiten. Die Kästen und Schubladen vol-ler Ausrüstung vom Winkelhaken bis zu den Lettern in allen Schriftarten und -grössen, sind heute in einem einzigen Computerprogramm verpackt. Seither sind ganz Berufsgattungen ausgestorben oder wurden zusammengefasst. Das klassische Druckhandwerk ist fast verschwunden – aber eben nur fast, denn in der ganzen Schweiz ha-ben sich stolze Berufsleute zusammengeschlossen, die die Geheimnisse der «Schwarzen Kunst» bewahren und weitergeben wollen.

Pflege und Erhaltung des Druckerhandwerks

Zu ihnen gehört der Setzermeister Paul Jud, der 1998 zusammen mit seinen Kolleginnen und Kollegen aus der Zentralschweiz die Vereinigung «Schwarzkunstwerk » gegründet hat, die der «Pflege und Erhaltung des alten, ausgestorbenen Handwerks der Schriftsetzer und Buchdrucker» dienen sollte.

In den folgenden Jahren wurde im Werkstatt-Trakt des Klosters Einsiedeln eine komplett ausgerüstete kleine Druckerei eingerichtet, die 2005 feierlich im Beisein von Abt Martin Werlen und dem für den Ausbau verantwortlichen Architekten Hanspeter Kälin eröffnet wurde. Noch heute werden hier spezielle Drucksachen in Spitzenqualität gedruckt sowie Kurse und Führungen für Gruppen und Schulklassen durchgeführt. Nächstes Jahr kann das «Schwarzkunstwerk » bereits sein 20-Jahr-Jubiläum feiern.

Leibesvisitation vor Verlassen der Klosterdruckerei

Wie Paul Jud berichtet, hatte das Kloster Einsiedeln schon ab 1664 eine grosse Druckerei in der Klausur. «Zuvor liess man in Basel und Zürich drucken, doch entschied man sich nach der Reformation, von die-sen ‹feindlichen› Städten unabhängig zu werden», erklärt Jud. Die Einsiedler Klosterdruckerei belieferte ihrerseits andere Klöster in Süddeutschland, Vorarlberg und Tirol.

Bücher waren eine kostbare Ware, darum wurde die Druckerei streng überwacht. «Wer hinausging, musste sich einer Leibesvisitation unterziehen», so Jud. Das Sagen in der Druckerei, wo Leute aus dem Dorf arbeiteten, hatte der sogenannte Faktor. «Dieser hatte das Privileg, von jedem Druckerzeugnis zwei Exemplare mitzunehmen, die von seiner Frau in einem kleinen Laden verkauft wurden. »

Böse Flugblätter gegen die Franzosen

Dass das Druckereigeschäft eine höchst politische Angelegenheit war, wurde in der Franzosenzeit klar. «Weil das Kloster böse Flugblätter gegen die Franzosen druckte, wurde seine Druckerei geschlossen und die Ausrüstung beschlagnahmt», schildert Jud die Geschichte. Fast zum selben Zeitpunkt entstand der legendäre weltliche Benziger Verlag, der Napoleon gut gesinnt war und darum in der Helvetischen Republik gute Geschäfte machen konnte. Nach dem Abzug der Franzosen eröffnete das Kloster wieder eine kleine Druckerei, jedoch nur für den Hausgebrauch, die von einem Mönch geführt wurde.

Das Schwarzkunstwerk besitzt eine umfangreiche technische Ausrüstung, die das Atelier gleichzeitig zu einem kleinen Museum der Druckkunst macht. Prunkstück der Sammlung ist eine Kniehebelpresse aus dem 19. Jahrhundert, die früher im Benziger Verlag verwendet wurde. Die Druckpresse wird nicht so genannt, weil sie mit dem Knie bedient wird, sondern weil der Spannhebel die Form eines Knies hat. Sie ist der ursprünglichen Gutenberg-Druckpresse am ähnlichsten und trägt den «Magier der Schwarzen Kunst» als Galionsfigur. «Gutenberg verwendete für die ersten Drucke eine Traubenpresse, die er mit einem Balken in der Mitte verstärkte, um den nötigen Druck zu erzielen», erklärt Jud. Diese Maschine funktioniert einfach und gemächlich: Die Druckvorlage wird mit einer Walze eingefärbt, der Papierbogen in den Rahmen eingespannt und über die Druckvorlage gelegt – dann wird die Druckplatte von oben draufgedrückt und angezogen.

Mangelnde Pressefreiheit «So mancher Drucker gab auf diese Weise vor 150 Jahren seine eigene kleine Lokal-Zeitung heraus», erzählt Jud. Doch nicht überall wurde die Meinungsvielfalt der Lokalpresse geschätzt. In Frankreich herrschte beispielsweise eine strenge Zensur, und jede gedruckte Seite muss-te zur Kontrolle vorgelegt werden. Bei Verstössen landeten die Autoren schnell einmal im Gefängnis. «Aus diesem Grund sind damals viele französische Verlage in die Westschweiz umgesiedelt », erklärt Jud. 500 Jahre dauerte die glanzvolle Geschichte des klassischen Druckerhandwerks, bis ihm die Digitalisierung und das Internet den Todesstoss versetzte. Viele Berufe im Druckgewerbe veränderten sich radikal oder verschwanden – mit ihnen viel handwerkliches Können.

Setzer gehörten der «Oberschicht » an

Zum Beispiel jenes der Setzer. Wer heute mit Bleilettern aus dem Setzkasten und Winkelhaken spiegelverkehrt seinen Namen zusammensetzt, versteht, wie viel Geschick früher notwendig war, um eine ganze Zeitungsseite zusammenzustellen. «Ein Setzer musste früher mindestens 1400 Zeichen pro Stunde setzen können», erklärt Jud. «Die Schnellen haben gesetzt und hatten bessere Löhne, die Langsamen haben die Lettern wieder abgelegt», so Jud.

Die Setzer im Hemd mit Krawatte Wenn die Abstände oder der Zeilenumbruch nicht stimmten, musste alles von vorne gemacht werden.» Ein hektischer Beruf also, der gleichzeitig höchste Exaktheit und viel Wissen verlangte. «Man sagte, dass ein Handsetzer immer eine Harasse Bier neben sich haben musste», sagt Jud und lacht. «Zu den Kernkompetenzen der Setzer gehörte gutes Deutsch und Französisch. Darum hatten Setzer oft das bessere Deutsch als Akademiker. » Setzer kamen stets in Krawatte und Hemd zur Arbeit und trugen Manschetten, um sich nicht mit Druckerfarbe schmutzig zu machen.» Aus diesen Gründen fühlten sich die stolzen Setzer gegenüber den Druckern als «Oberschicht » und pflegten auch ihren ganz eigenen Berufsjargon. Wenn beispielsweise im Text ein Wort doppelt gesetzt worden war, nannte man das eine «Hochzeit». Hingegen wurde ein völlig fehlerlos gesetzter Text als «Jungfrau» bezeichnet. Auch die Masseinheiten im Zwölfersystem waren speziell und genauer als das Millimetersystem. «Zwölf Punkt ist ein Cicero», nennt Jud als Beispiel. Einsiedler Chronik von 1752

Neben der technischen Ausrüstung besitzt das Schwarzkunstwerk eine kleine Sammlung historischer Druckerzeugnisse, darunter eine Einsiedler Chronik in drei Teilen von 1752, herausgegeben von Johann Eberhard Kälin, die von einem Sponsor gestiftet wurde. «Das Buch wurde für die damaligen Möglichkeiten sehr präzise gedruckt», urteilt Jud stolz. Auch er betätigt sich regelmässig als Autor und hat bereits eine ganze Reihe von selbst verfassten und gedruckten Büchern herausgegeben.

Jud leitet auch Workshops mit Schulklassen. Zu den regelmässigen Besucherinnen gehörte beispielsweise Marlies Mathis mit ihren Schulklassen aus Egg. Im vergangenen Jahr druckten die Schülerinnen und Schüler je einen Spruch mit einer Zeichnung auf einem Blatt als Geschenk für ihre Paten oder Eltern. Der Spruch wurde gesetzt, die Zeichnung ab Linolschnitt gedruckt.

Als treue Besucherin des Ateliers wurde Mathis zum Abschied aus dem Schuldienst noch «gegautscht». Diese Wassertaufe im Brunnen erhalten normalerweise nur Lernende aus dem Druckgewerbe zum Lehrabschluss. Zu dieser Taufe gehört auch ein sogenannter «Gautschbrief». Solche mehrfarbigen kunstvoll gestalteten Briefe werden noch heute in der Einsiedler Werkstatt für Lehrabgänger aus dem Druckereigewerbe in der ganzen Schweiz gedruckt und sind der grosse Stolz des Schwarzkunstwerks.

» Workshops und Führungen. Fotos: Eugen von Arb


Auf jeder seiner Führungen führt Paul Jud die einzelnen Arbeitsschritte des Druckvorgangs auf einer Kniehebelpresse vor, die der Gutenberg-Druckpresse am ähnlichsten ist. Der «Meister der Schwarzen Kunst», der als Galionsfigur auf dem Rahmen thront, schaut aufmerksam dabei zu.

Knapp 240 Jahre Entwicklung in der Drucktechnik liegen zwischen diesen beiden Exponaten aus der Sammlung der Vereinigung «Schwarzkunstwerk»: Eine Einsiedler Chronik von 1752 (links) und der Bleisatz der letzten Ausgabe des Luzerner Vaterlands von 1991 (rechts).

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