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Das Dorf verstehn, das fast zur Stadt geworden wäre

Das Dorf verstehn, das fast zur Stadt geworden wäre Das Dorf verstehn, das fast zur Stadt geworden wäre

Mit einer kurzweiligen und anregenden Dorfführung leiteten Werner Oechslin und Anja Buschow Oechslin das Podium «Weiterbauen in den Dorfkernzonen» in der Oechslin Bibliothek ein.

Eine interessierte Gruppe traf sich am Donnerstagabend vor dem Einsiedler Rathaus, um gemeinsam mit den beiden «Dorf-Experten», Werner Oechslin und seiner Partnerin Anja Buschow Oechslin einen Architektur-Spaziergang vom Klosterplatz zum Bahnhofplatz unter die Füsse zu nehmen.

Die beiden Referenten verstanden es vorbildlich, das Publikum unterhaltsam und gleichzeitig kritisch für die brennenden baulichen Probleme und Besonderheiten des Klosterdorfes zu sensibilisieren. Sie demonstrierten dabei eindrücklich, wie wichtig für Architektinnen und Architekten nebst Fachkenntnis ein waches und geschultes Auge ist – fürs Detail wie auch fürs Ganze.

Der Klosterplatz als unbestrittener historischer Mittelpunkt Einsiedelns war der Anfangspunkt. Seine jahrhundertelange Geschichte wurde kurz und mit Hilfe eine historischen Plans zusammengefasst. Oechslin machte darauf aufmerksam, dass Einsiedeln ursprünglich vom Norden her über den Etzel bereist wurde und nicht wie heute vom Unterdorf. Erwähnt wurde das Geschick und die Schlitzohrigkeit, mit der die Klosterherren ihre Autonomie und ihren Einfluss durch die Jahrhunderte bewahren und ausbauen konnten. So wurde die Engelsweihe erwähnt, mit der das Kloster die angebliche Weihe durch Gott selbst unterstrich. Wie wichtig die Pilgerströme für die Klosterwirtschaft waren, wurde nach dem Brand von Einsiedeln von 1680 klar, als das Kloster grosszügig den Wiederaufbau unterstützte, weil es dringend Übernachtungsmöglichkeiten für die Pilger brauchte. Architektonisch wichtig war wie in vielen anderen Städten der vermehrte Übergang von der Holzbauweise zu Steinbauten, um weitere Feuersbrünste zu vermeiden. Die Franzosenzeit bedeutete eine Schwächung des Klosters und den gleichzeitigen Aufstieg des Bürgerturms, insbesondere der Geschlechter Benziger und Eberle. Sie errichteten dicht am «Bannkreis» des Klosterplatzes und in feuersicherem Abstand ihre stattlichen Häuser. Was mit dem Lauf der Zeit aus ihnen geworden ist, lässt sich beispielsweise alleine an den Fenstern erörtern, die mal liebevoll mit Fassadenmalerei aufgewertet, mal als formlose «Löcher» stehengelassen wurden. So bewegte sich die Gruppe langsam entlang der Hauptstrasse abwärts und schwenkte danach ab in die Schwanenstrasse. Dabei überquerte man den mittlerweile eingedolten Dorfbach, der laut Werner Oechslin zeitweise rot gefärbt war vom Blut des Schlachthauses, das ebenfalls verschwunden ist.

Lob und Tadel des Architekten Mal lobte Oechslin die weitgehend erhaltene «Durchlässigkeit » der Klosterdorfarchitektur dank Gässchen und Strässchen und gelungene Kompromisse modernisierter und aufgestockter Bauten. Mal tadelte er die maximale Ausnutzung des Baugrunds ohne Rücksicht auf das architektonische Ensemble. Immer wieder wies er die Wichtigkeit des Zusammenwirkens von Bauherrschaft und Architekten zum Wohl des gesamten Ortsbildes hin. Vorbei am ers-ten Hochhaus Einsiedeln, das einst als «hässlichstes Gebäude der Schweiz» Furore macht, gelangte die Gruppe beim Dorfplatz vor das «Zwei Raben». Damit war man direkt in der Gegenwart gelandet, weil die Neugestaltung dieses Orts zusammen mit jener des Bahnhofareals zu den aktuellsten und kniffligsten Vorhaben Einsiedelns zählt.

Obwohl das ehemalige Spital und Waisenhaus heute schon völlig entkernt ist, lob-te Oechslin die dominante Fassade, die gewissermassen als «Gesicht» des neuen Dorfzentrums und als Gegenpol zum Kloster dienen könnte. Dabei erwähnte er auch den Erbauer des Zwei Raben, Johann Caspar Wolff, der zu seiner Zeit zu den Schweizer Top-Architekten gehörte und beispielsweise larus nach dem Brand neu gestaltet hatte.

Und schon war man beim nächsten «Hotspot», dem Bahnhofareal angelangt, das laut Oechslin niemals an das Dorf angeschlossen worden sei. Oechslin wies auf den Luxus der vorhandenen Fläche hin und ermunterte den Bezirk – hingewandt zu dessen Vertreter im Publikum – einen «Sprung» zu einer möglichst ganzheitlichen Lösung zu wagen.

Anlässlich seines 80. Geburtstags wird Werner Oechslin am 19. September, um 20 Uhr, beim Fram-Club im Museum Fram zu Gast sein. Mit dem emeritierten Professor für Kunst- und Architekturgeschichte der ETH Zürich wird sich Walter Kälin unterhalten.

Foto: Eugen von Arb

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