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«Nicht alle Personen sind geeignet, im Homeoffice zu arbeiten»

«Nicht alle Personen sind geeignet,  im Homeoffice zu arbeiten» «Nicht alle Personen sind geeignet,  im Homeoffice zu arbeiten»

Viele Arbeitnehmende wollen flexibel arbeiten – wo und wann sie wollen. Hubert Helbling, Vorsteher des Schwyzer Amts für Arbeit, ist jedoch überzeugt: Homeoffice ist nicht jedermanns Sache. Besonders gefährlich werde es, wenn keine klare Abgrenzung stattfinde.

Die neuste Schweizerische Arbeitskräfteerhebung des Bundesamts für Statistik zeigt: Knapp die Hälfte der Arbeitnehmenden hat flexible Arbeitszeiten, zwei von fünf Personen sind zumindest gelegentlich im Homeoffice. Wie schätzen Sie die Situation im Kanton Schwyz ein? Im Grunde genommen ist es sehr schwierig, solche Daten zu erfassen. Für eine genaue Erhebung müsste man jede einzelne erwerbstätige Person befragen, in was für einem Arbeitsverhältnis sie wo steht. In Anbetracht der mehr als 90’000 erwerbstätigen Personen im Kanton Schwyz, davon mehr als ein Drittel in anderen Kantonen erwerbstätig, wäre das ein unverhältnismässiger Aufwand für eine Statistik mit relativer Aussage. Welche Erkenntnisse ziehen Sie aus der Statistik? Ich bin eher überrascht, dass gemäss dieser Statistik nur knapp die Hälfte der Arbeitnehmenden flexibel arbeitet. Im Grunde genommen gelten ja bereits Gleitzeitarbeit oder Jahresarbeitszeit als flexible Arbeitszeiten. Das zeigt aber, dass halt doch für die meisten Arbeiten vom Arbeitgeber klar vorgegebene Arbeitszeiten notwendig sind. Und was sagt die Statistik zum Anteil an Homeoffice? Den Anteil an Personen mit gelegentlichem Homeoffice kann ich nicht beurteilen. Es stellt sich hier die Frage, in welchen Branchen und Berufen die Arbeitnehmenden und Arbeitgeber befragt wurden. Homeoffice ist ja wirklich nur für bestimmte Arbeitskräfte möglich. Aber es ist schon so, dass zurzeit für viele Arbeitnehmende mobiles Arbeiten beziehungsweise Homeoffice sehr attraktiv ist.

Ist der Trend zu flexiblen Arbeitszeiten und insbesondere Homeoffice auf die Corona-Zeit zurückzuführen, oder gings sowieso schon in diese Richtung? Mit den neuen Kommunikationstechnologien kam schon in den 90er-Jahren das Homeoffice auf, was damals noch Telearbeit hiess. Die digitale Trans-formation, welche das überhaupt möglich gemacht hat, ist also schon seit Jahren im Gang. Aber der Trend zum Homeoffice wurde durch die Pandemie tatsächlich enorm beschleunigt. Aufgrund der gemachten Erfahrungen krebsen nun viele Arbeitgeber sogar wieder zurück und rufen die Mitarbeitenden zurück ins Büro, weil Homeoffice eben nicht nur Vorteile, sondern auch viele Nachteile hat. Für mich als Chef der Arbeitsmarktbehörde stehen jedoch vor allem die Risiken und die damit zusammenhängenden gesundheitlichen Probleme im Vordergrund. Ist denn Homeoffice so schlecht? Wo sehen Sie die Risiken?

Das ist keineswegs schlecht. Im Gegenteil. Es ist eine moderne Arbeitsform im Zeichen der digitalen Transformation mit vielen Chancen und Vorteilen. Aber aus meiner Sicht unterschätzen oft sowohl Arbeitnehmende, die eine solche Arbeitsform wünschen, als auch die Arbeitgeber, welche eine Fürsorgepflicht gegenüber den Arbeitnehmenden haben, die Risiken und Nebenwirkungen solcher Arbeitsformen.

Die wären?

Wir müssen da beide Seiten betrachten. Der Arbeitgeber möchte möglichst viel Performance mit möglichst wenig Investition. Dann stellen sich halt schon die Fragen: Nimmt er die Fürsorgepflicht wahr? Wie kontrolliert, wertschätzt und fördert er seine Mitarbeitenden? Welche Strukturen stellt er zur Verfügung? Auf welche Art ist sichergestellt, dass jemand im Homeoffice trotzdem im Team eingebunden ist, sich weiterentwickeln und mit dem Betrieb identifizieren kann? Wo liegen die Risiken auf Arbeitnehmerseite?

Die Arbeitnehmenden haben verschiedene Motive für Homeoffice, meist jedoch, um möglichst flexibel Freizeit oder andere Verpflichtungen, zum Beispiel die Familie, unter einen Hut zu brin-gen. Und dazu braucht es ein hohes Mass an Eigenverantwortung und Selbstdisziplin für das Zeit- und Strukturmanagement. Das beinhaltet auch eine verantwortungsvolle Entgrenzung zwischen Arbeit und Privatleben. Und genau diese Herausforderungen sind sehr problematisch, untergraben vielfach die eigene Resilienz und können zu mentaler und körperlicher Erschöpfung führen. Es sind schlicht nicht alle Personen geeignet, im Homeoffice zu arbeiten, auch wenn sie das glauben.

Gibt es noch weitere Risiken?

Auch nicht unterschätzen darf man die massive Nutzung digitaler Plattformen und virtueller Meetings. Hier haben auch schon Arbeitnehmende vernehmen lassen, dass sie mittlerweile dadurch kognitiv völlig erschöpft sind. Warum bieten trotzdem immer mehr Unternehmen – so scheint es – flexiblere Arbeitszeitmodelle an?

Wie gesagt, man macht ja nicht nur schlechte Erfahrungen, dort, wo es überhaupt möglich ist. Im Bereich des Homeoffice scheinen sich mehr und mehr hybride Formen durchzusetzen, zum Beispiel ein oder zwei Tage Homeoffice- Arbeit, der Rest im Büro. Aufgrund des Fachkräftemangels sehen sich ausserdem die Arbeitgeber zusehends dazu gezwungen, solche Modelle bei der Suche nach Arbeitskräften anbieten zu können, um auf dem Arbeitsmarkt überhaupt wettbewerbsfähig zu sein.

Dürfen Stellensuchende Homeoffice- Wünsche äussern?

Mir sind Firmen selbst im Kanton Schwyz bekannt, die Arbeiten, die zu 100 Prozent im Homeoffice erledigt werden können, ins Ausland ausgelagert ha-ben, zumal Arbeitskräfte dort in der Regel günstiger arbeiten als Arbeitskräfte in der Schweiz. Ich empfehle deshalb jeweils Stellensuchenden, wenn ich danach gefragt werde, bei den Forderungen nach Homeoffice nicht zu übertreiben. Wie kann man die Risiken und Nebenwirkungen vermeiden? Zuerst sollte ein Arbeitgeber sich klar dafür entscheiden, ob sich ein Arbeitnehmer überhaupt für Homeoffice eignet. Dann müssen beide Seiten klare Rahmenbedingungen schaffen, die Arbeit muss definiert, sicht- und messbar sein. Aus meiner Sicht reicht es nicht, wenn den Mitarbeitenden einfach nur sichere und effiziente digitale Arbeitsinstrumente zur Verfügung gestellt werden, sondern die Arbeitgeber sollten auch dafür sorgen, dass entsprechend ergonomische Büromöbel zur Verfügung stehen.

Und weiter?

Auch muss der persönliche Austausch zwischen Führungskräften, Kolleginnen und Kollegen und so weiter sichergestellt werden. Überhaupt muss die Führungskultur angepasst werden. Und: Arbeit ist Arbeit, die muss zeitlich erfasst werden, Privatleben ist Privatleben. Es darf nicht sein, dass grundsätzlich die Arbeitnehmenden unter dem Strich auf irgendeine Art dem Arbeitgeber letztlich rund um die Uhr zur Verfügung stehen. Neben Homeoffice gibt es weitere Formen von flexibler Arbeitszeit. Was macht Ihnen dort Sorgen? Flexible Arbeitszeit heisst ja eigentlich, dass ich als Arbeitnehmer bis zu einem gewissen Grad selber bestimmen kann, wann und wo ich die Arbeit erledige. Das macht die Arbeit umso attraktiver, weil man das Privatleben entsprechend den Bedürfnissen planen kann. Zum Glück müssen jedoch die allermeisten die Arbeitszeit erfassen, um das Ganze überhaupt planbar zu machen. Wird es immer schwieriger, Privatleben und Arbeitszeit zu trennen? Mit den digitalen Kommunikationsmitteln verschwimmt diese Grenze mehr und mehr. Darin sehe ich die Gefahr. Hier kann dann wirklich die Work-Life-Ba-lance aus dem Gleichgewicht geraten. Auch den Trend zu immer mehr Vertrauensarbeitszeit sehe ich kritisch. Es ist empirisch belegt, dass Mitarbeitende ohne Zeiterfassung mehr arbeiten und sich mehr engagieren, als sie sollten, um die vorgegebenen Ziele zu erfüllen.

Ein Beispiel?

Unlängst wurde in der SRF-Gesundheitssendung «Puls» über solche Arbeitsformen diskutiert. Auch über deren Führungskultur. Dort sagte ein Arbeitgeber, dass seine Mitarbeitenden so viele Ferien beziehen könnten, wie sie wollten, die Arbeit müsse einfach erledigt sein. Ich weiss zwar nicht, wie das dort wirklich funktioniert, aber ich gehe davon aus, dass diese Mitarbeitenden keinen Tag länger Ferien beziehen, als ihnen nach Gesetz zusteht. Der informelle Wettbewerbsdruck innerhalb einer solchen Firma wäre extrem erdrückend.

Wer ist für die Work-Life-Balance verantwortlich – der Arbeitgeber oder Arbeitnehmende? Das ist nicht einfach zu beantworten. Im Rahmen der Fürsorgepflicht muss grundsätzlich der Arbeitgeber dafür sorgen, dass Mitarbeitende wegen der Arbeit nicht krank werden. Auf der anderen Seite stehen hier Mitarbeitende genauso in der Verpflichtung, im Rahmen ihrer Resilienz für einen entsprechenden Ausgleich zu sorgen. Stichwort Sinnhaftigkeit: Vor allem jüngere Generationen wollen einer Arbeit nachgehen, mit der sie sich identifizieren können. Wie bewerten Sie diese Entwicklung? Die Identifikation mit der Arbeit ist keineswegs nur eine Forderung von jüngeren Generationen. Der Erwerb durch Arbeit ist schon längst nicht mehr eine Frage der reinen Existenzsicherung. Die Arbeit ist grundsätzlich unsere Lebensachse, sie beginnt bereits mit der Ausbildung und endet mit der Pensionierung oder gar darüber hinaus. Dann ist die Identifikation mit der Arbeit heutzutage der wichtigste Punkt bei der Suche nach einem geeigneten Job? Wir haben längst die Möglichkeit, unsere Bedürfnisse, Fähigkeiten und auch Leidenschaften via Aus- und Weiterbildung sinnvoll auszurichten. Es ist aus meiner Sicht enorm wichtig, dass einem die Arbeit gefällt und man sich damit identifizieren kann. Wir sind soziale Wesen, was auch heisst, wir brauchen soziale Kontakte, Erfolg und Wertschätzung. Das ist heute in unserer Arbeitswelt möglich und wird niemals durch die digitale Transformation ersetzt werden können.

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