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Christian Fuchs’ letzte Alpabfahrt nach 50 Jahren auf der Sprädenegg

Christian Fuchs’ letzte Alpabfahrt nach 50 Jahren auf der Sprädenegg Christian Fuchs’ letzte Alpabfahrt nach 50 Jahren auf der Sprädenegg

Zum 50. Mal hat Christian Fuchs aus dem Willerzell sein Vieh geschmückt und ist zum letzten Mal als Älpler mit seinen Tieren von der Alp abgezogen. Ein Mann, der viel erlebt hat, ein Mann, der viel zu erzählen weiss.

Pünktlich zum Ende des Alpsommers riecht es draussen nach Schnee. Im Ybrig schmückt das unschuldige, elegante Weiss bereits deren Hausberg. Per Muskelstärke trampe ich dem vertrauten Geissweidli entlang, an überstelligen Rindern vorbei immer bergwärts.

Mein Ziel: Alp Sprädenegg oberhalb Willerzell, auf 1175 Meter über Meer. Bereits im Wald höre ich das vertraute, wegweisende Schnattern des Stromaggregats. Nach einer Horde neugieriger Toggenburger Ziegen und gehörnten, mächtig erscheinendem Grossvieh erreiche ich die Alp von Christian Fuchs.

Mit einer freudigen, bauerntypischen Zurückhaltung werde ich bereits von ihm erwartet. Wenn das Herz den Weg kennt

Der gebürtige Willerzeller ist nach der Schule als 14-Jähriger direkt auf den Bau gegangen. Rund zehn Kollegen aus der Umgebung wurden täglich per Büssli nach Zürich chauffiert – von ÖV war damals noch keine Rede. Doch wenn im Sommer zu Hause das Heu eingeführt wurde, hielt er es kaum aus, in die Stadt zu fahren. So kam es, dass der damalige Sprädenegg-Älpler unglücklicherweise zwei Monate vor seiner Pensionierung im Dezember 1974 verstarb. Da dessen Kinder am Älplerleben keine Freude hatten, war für den damals 20-Jährigen der Fall klar. «Du spinnsch!», durfte er sich von seinem Vater anhören.

Denn für 1000 Franken einen ganzen Sommer eine Alp zu führen und das Angebot als Maurer mit einem Stundenlohn von 13.50 Franken fallen zu las-sen, war nicht gerade das, was er sich für seinen Sohn vorgestellt hatte.

Doch Christian hat damals gewusst, wofür sein Herz brennt … 50 Jahre im Kurzdurchlauf

Anfangs stand auf der Sprädenegg noch keine Hütte. Im ersten Frühling stellte er eine kleine Baracke auf, die genau so gross war, dass ein Bett darin Platz hatte. 1981 konnte er über seine ehemaligen Arbeitskollegen eine Baracke übernehmen. Im selben Jahr lernte er seine Frau kennen. Ein Jahr später landete Christian mit Tuberkulose im Spital, wo er acht Monate verbrachte und sein Bruder zu Hause das Vieh hütete. Als 2018 die Fenster ersetzt und die Küche neu gemacht wurde, ist seine Tochter im jungen Alter von 30 Jahren an Embolie gestorben. Ein unbeschreiblich schwerer Schicksalsschlag.

Bereits ein Jahr später such-te das Schicksal die Familie Fuchs ein zweites Mal heim, als die Frau von Christian an Bauchspeicheldrüsenkrebs verstarb. Nach zwei Jahren Chemotherapie und null Lebensqualität hat sie den Kampf aufgegeben.

Es ist ihm sehr zu gönnen, dass er wieder eine liebe und engagierte Freundin gefunden hat, die ihn in vielen Belangen unterstützt.

Wandel der Zeit Auf meine Frage hin, was sich in diesen 50 Jahren verändert hat, nennt er vor allem die Auflagen des Bundes. Wo damals im Anbindstall kaum ein Blatt zwischen den Kühen Platz gehabt habe, dürfe das Vieh heute kaum mehr angebunden werden. Durch den Freilaufstall sei-en die Tiere nicht mehr so zutraulich, was die Zusammenarbeit oft erschwere.

Was heute einfacher geworden ist, sei die Zufahrt. Am Anfang konnte nur bis zur Hälfte gefahren werden und den Rest ging man zu Fuss. So trug er beispielsweise all die Jahre unzählige 50-Kilogramm-Säcke mit Salz für die Kühe auf dem Rücken auf die Alp.

Verändert habe sich auch das Freizeitverhalten der Outdoorsportler. Es gäbe einige Wanderer und Biker, die sich in der Natur nicht richtig zu verhalten wissen. Sei es, dass Viehzäune nach dem Betreten nicht mehr geschlossen werden oder das Tempo nicht den Verhältnissen entspreche. Er würde gerne «Leben und leben las-sen » und plädiert auf gesunden Menschenverstand und gegenseitige Rücksichtnahme.

Alpabfahrt

Mit staunenden Augen darf ich in seiner Stube all seine Werke in Ruhe – und vor allem von nahem – bewundern. Unzählige Stunden Winter-Arbeit stecken in all seinen selbstbestickten Riemen. Dafür macht Christian nur eine grobe Skizze aufs Leder und der Rest läuft «frei Hand». «Ja das chamä halt eifach!», meint er verlegen schmunzelnd, ein wahres Talent meine ich!

Die Vorbereitungen für die Alpabfahrt beginnen bereits sechs Tage vorher. Bei meinem Besuch am zweiten Vorbereitungstag sind bereits vier fleissige Hände im Zelt hinter dem Haus. Sie bestücken liebevoll die von Christian selbst gemachten Kopfschmucktafeln mit Tannästen. Am Sonntag werden die vom «Blumen-Kari » (aus dem Aargau) seit über 12 Jahren gesponserten Blumen gekonnt integriert. Ein unbeschreiblich schönes Bild, wenn zwischen den rund 20 Alpabfahrtshelfern 60 geschmückte Tiere (40 Sprädenegg, 20 Büel) von der Satteleggstrasse ins Dorf laufen dürfen.

Was die Zukunft des Älplers noch bringen wird, lässt er gerne offen. «Seine» Sprädenegg wird er weiterhin besuchen und – falls es weitergehen darf – seinen Sohn bei der Arbeit unterstützen. Doch mit seinen stolzen 70 Jahren darf er bestimmt ein wenig kürzertreten.

Foto: Cornelia Fässler


Ein Bild der Alpabfahrt vor elf Jahren: Die Kühe sind immer schön geschmückt.

Bild links: Vertreter der Genossame Willerzell überreichten Christian Fuchs zum Dank für 50 Jahre Sprädenegg-Älpler ein grosszügiges Geschenk. Von links: Lucas Schönbächler (Weidepräsident), Daniel Steiner (Präsident Genossame), Christian Fuchs (Sprädenegg-Älpler), Marcel Schönbächler (Weidekommission) und Markus Schönbächler (Beisitzer). Bild rechts: Mit seinen ehemaligen Arbeitskollegen stellte er die neue Baracke auf. Fotos: André Schönbächler / zvg

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