Colorado in den Schlagzeilen
BRIEF AUS DEN USA
Manchmal wünsche ich mir, in einem unbedeutenden Land zu leben. Das war kürzlich wieder einmal der Fall, als die venezolanischen Gangs zum Mittelpunkt der Präsidentschaftsdebatte wurden. Plötzlich sprach die ganze Welt von Denvers Nachbarstadt Aurora. Und plötzlich musste ich wieder Fragen aus der Schweiz beantworten.
Die Venezolaner sind auch bei uns in Colorado ein Thema. Aber vor allem in Form von Gruppen von Jugendlichen, welche zu jeder Tageszeit in der Nähe des Do-it-Yourself-Ladens herumhocken. Sie hoffen, von einem Handwerker oder Hausbesitzer angeheuert zu werden. Andere Gruppen übernehmen die wichtigen Strassenkreuzungen. Sie sind mit Fensterputzmittel bewaffnet und würden unheimlich gerne während der paar Minuten an der roten Ampel ein paar Dollar verdienen. Im Winter marschierten dieselben Gruppen mit Schneeschaufeln bewaffnet durch die Aussenquartiere. Sie alle sind eifrig, sauber und höflich. Den Abfall entsorgen sie vor dem Do-it-Yourself-Geschäft fein säuberlich, und manch ein Fensterputzer kommt mit Charme in Form eines seifigen Herzchens auf der Autoscheibe daher.
Von Schiessereien und der gewalttätigen Übernahme von ganzen Quartieren ist an unserem Stadtende nichts zu sehen. Aber wir wohnen nicht zusammen mit Mäusen, Ratten und Schimmel in einem der heruntergekommenen Wohnblocks in Aurora. Diese Wohnblocks waren schon lange vor der Immigrantenkrise sanierungsbedürftig, und das Management, eine Firma in New York, hätte schon längst professionell eingreifen müssen. Die neuen Immigranten landen dort, weil sie sich schlicht und einfach keine andere Bleibe leisten können.
Seit sich Denver vor etwa sieben Jahren als Zufluchtsstadt erklärt hat, strömen Tausende von Asylsuchenden hierher. Die Behörden in Denver arbeiten nicht aktiv mit den Bundesbehörden zusammen. Hier können die neuen Immigranten erst mal Luft schnappen. Arbeiten dürfen sie erst, wenn der Asylantrag schon fünf Monate in der Papierkriegsmühle liegt. Viele sind aber von der Bürokratie und sprachlich überfordert. Auch die Stadt Denver ist überfordert, und die Immigranten suchen sich eine Bleibe in den Nachbargemeinden.
Tatsächlich kam es in den vergangenen Monaten zu Auseinandersetzungen und zu einem Mordfall in Aurora. Mitglieder einer venezolanischen Gang waren involviert und wurden verhaftet. Die Gang terrorisiert und beherrscht das sozioökonomisch benachteiligte Aurora aber nicht. Trotzdem mache ich aber seit 2007 mit Vorliebe einen Bogen um Aurora herum.
Regula Grenier-Flückiger * Die Einsiedlerin Regula Grenier-Flückiger (*1973) zog im Jahr 2007 nach Denver im amerikanischen Bundesstaat Colorado, am Fuße der Rocky Mountains. Seit dem Jahr 2011 wohnt sie im Nachbarort Thornton. Dort kamen im Jahr 2011 Sohn Cody Frederick und im Jahr 2015 Tochter Stephanie Nova zur Welt.