«Man kocht für 20 Schüler und weiss nicht, ob sie es essen.»
Fredy Trütsch war 35 Jahre lang Lehrer an der Einsiedler Stiftsschule und unterrichtete nebst Sport auch Informatik und Werken. Nach seiner letzten Unterrichtsstunde im Juli ist er immer noch am «Aufräumen» und hat auch etwas Heimweh nach dem Schulbetrieb.
Was antworteten Sie, wenn man sie als Schüler nach Ihrem Berufsziel fragte? Sportlehrer. Ich erlebte als Kind den Bau der Turnhalle im Dorf. Bis dahin war die Kirche das grösste Gebäude im Dorf gewesen, aber dort musste man stillsitzen, in der Turnhalle hingegen konnte man herumtoben. Ich fühlte mich schon damals zum Sport hingezogen, obwohl meine Eltern anfänglich Bedenken hatten, ob ich damit meinen Lebensunterhalt verdienen könne. Nach der Schule in Unteriberg und der Matura in Pfäffikon absolvierte ich in Zürich an der ETH das Sportlehrerstudium und studierte Informatik an der Uni. Verlief Ihre Karriere gradlinig?
Ja, eigentlich schon. Ich begann bereits mit 28 Jahren als Aushilfslehrer im Ybrig und in Einsiedeln zu arbeiten und kam da-nach an die Stiftsschule. Nur einmal mit 40 Jahren war ich ein Jahr weg von der Stiftsschule und habe neben anderen Projekten die Ausbildung zum Herztherapeuten gemacht. Es zog mich dann aber wieder zurück in die Stiftsschule. Im Juli hatten Sie Ihre letzte Unterrichtsstunde – was vermis-sen Sie am meisten? Die aufgestellten Schülerinnen und Schüler, die mich stets mit ihrer Energie anspornten, mir aber auch den Spiegel vorhielten. Das Gefühl, mit einer Klasse im Zimmer zu sein und sich zu verstehen – das war das Grösste! Aber auch das engagierte Lehrerteam, da ist man nicht mehr drin.
Und was am wenigsten?
Die ständige Präsenz und der Zwang, immer wieder etwas Neues ausdenken und vorbereiten zu müssen. Man kocht für 20 Schüler und weiss nicht, ob sie es es-sen (lacht). Es ist schon entspannend, wenn diese ständige Herausforderung einmal weg ist.
War die Schule auch ein Zuhause für Sie, oder haben Sie Arbeit und Privatleben getrennt? Das war beides sehr miteinander verwoben – nur schon dadurch, dass ich nicht weit entfernt von der Stiftsschule wohne. Ich habe nach Schulschluss oft noch ein paar Stunden in meinem «Atelier» gearbeitet. Die Theaterbühne, das Eisfeld und die Sportanlagen waren auch mein «Hobbyraum». Ich bin immer noch am «Aufräumen ». Es war eine grossartige Zeit bei einem grosszügigen Arbeitgeber, und ich spüre immer noch etwas Heimweh. Eines Ihrer bekanntesten und beliebtesten Schülerprojekte war wohl das Floss, auf dem sie jeweils eine Woche lang auf dem See herumgerudert sind – wird es weitergeführt? Zwei Lehrer überlegen sich, ob sie es weiterführen wollen. Ich bin bereit, mitzumachen, später sollte es aber die Schule übernehmen. Zusammen mit Kollegen führen wir noch wöchentlich einen Ruderkurs für Schüler durch, der an der Schule als Freifach geführt wird.
Wassersport und Rudern spiel-ten immer eine wichtige Rolle bei Ihnen – was fasziniert sie daran? In Einsiedeln gibt es kein Hallenbad, aber einen See, und es stellte sich die Frage, wie man das wöchentliche Baden in den Unterrichtsplan einbauen kann. Wir probierten es mit Kajaks und Schlauchbooten, aber das war punkto Sicherheit sehr schwierig. Die ideale Lösung war ein Gefährt, auf dem die ganze Klasse Platz hat: ein Floss, das wir aus ehemaligen Eishockey-Abschrankungen zusammensetzten. Darauf ruderten wir vor 25 Jahren zum ersten Mal über den Sihlsee – anstelle einer Wanderung.
Haben Sie Verständnis für Menschen, die sich nicht für Sport interessieren? Sehr sogar. Für sie ist Sport nicht mehr als ein sinnloses Verbraten von Energie (lacht). Leute, die keinen Sport treiben, ha-ben einen ganz anderen Lebensrhythmus. Oft sind sie körperlich nicht disponiert und haben eine ganz andere Einstellung als jene hyperaktiven Personen, die nicht müde werden und sich abreagieren müssen. Dann gibt es auch jene, die täglich harte körperliche Arbeit leisten und darum nicht verstehen, warum sie in der Freizeit auch noch Sport treiben sollen. Wie haben Sie unsportliche Schülerinnen und Schüler zu Anstrengungen motiviert? Ich versuchte, bei ihnen ein Verständnis für Bewegung zu wecken. Mit solchen Schülern muss man viel sorgfältiger arbeiten und darf sie nicht überfordern, denn das ist kontraproduktiv, und man hat verloren. Mein Ziel war es immer, solche Schüler dazu zu bringen, etwas Neues auszuprobieren und ihren Aktionsradius auszuweiten. Beim Notengeben war man ein wenig im Clinch, aber schliesslich habe ich immer auch die persönliche Anstrengung gewertet.
Wann ist Sport gesund, wann ungesund? Wenn der Sport gut zu einem Menschen passt und er Freude daran hat, ist er gesund. Wenn es ihn aber überfordert und überlastet, ist er ungesund. Für manche ist Sport ein Vergnügen, für andere eine Grenzerfahrung – wie ist es bei Ihnen?
Grenzerfahrung war für mich immer etwas Spannendes und Motivierendes. Was verträgt man? Schaffe ich gleich viel wie der andere? Solche Fragen haben mich beschäftigt. Auch ein gewisser Ehrgeiz war dabei. Aber das ist Vergangenheit. Man spürt das Alter und kann sich nicht mehr denselben Herausforderungen stellen. Was war die wichtigste Veränderung in Ihrem Beruf, seit Sie damit angefangen haben? Beim Schulsport hat sich viel verändert. Früher war der Sportunterricht viel uniformierter. Es gab einen Bewegungskatalog, den man mit verschiedenen Sportarten abdecken musste. Heute hingegen ist alles viel individueller, und es gibt viel mehr Spielsportarten. Zum Beispiel mussten die Schüler früher alle auf dieselbe Weise an Stangen hoch klettern. Heute gibt es ganze Kletterwände in der Halle, die man auf verschiedene Arten bezwingen kann. Die Kataloge für Sportgeräte sind sehr umfangreich, und es gibt für alle und alles ein Tool. Wie sieht Ihr «Stundenplan» als Rentner aus? Mein Stundenplan war vorher schon relativ «wild» (lacht). Jetzt hat er einfach mehr Freiraum erhalten. Dieser wurde im Sommer durch das Welttheater ausgefüllt. Jetzt beschäftige ich mich mit dem Ruderhaus-Projekt. Wie bleiben Sie mit der Stiftsschule und den Schülerinnen und Schülern in Kontakt? Ich werde Mitglied bei der Stiftung Pro Stiftsschule, und ich bin immer bereit zu helfen, wenn es dort meine Unterstützung braucht. Ausserdem bleibe ich durch das Rudern mit der Stiftsschule in Kontakt und wünsche mir die Stiftsschule als Partner für das Bootshausprojekt. Was möchten Sie noch ausprobieren?
Es gibt Leute, die sagen sich: «Mit 60 schlafe ich nicht mehr im Zelt.» (lacht). Ich möchte genau das Gegenteil probieren: Ab 60 zelten erst recht!