«Ich lebe meinen Traum»
Die schweizerisch-amerikanische Doppelbürgerin Regula Grenier-Flückiger, Autorin der EA-Kolumne «Brief aus den USA», war zu Besuch in Einsiedeln.
Die Einsiedlerin Regula Grenier-Flückiger berichtet seit sechzehn Jahren aus ihrer Wahlheimat Colorado für den Einsiedler Anzeiger. Ein- bis zweimal monatlich schickt sie der Redaktion einen «Brief aus den USA» mit Geschichten über Land und Leute, aber ganz selten über sich selbst. Anfang Oktober weilte sie wieder einmal in der Schweiz. Der Einsiedler Anzeiger hat sich die Gelegenheit für ein persönliches Gespräch mit ihr nicht entgehen lassen.
Die Frau, die in ihren Kolumnen so fundiert und lebendig aus dem amerikanischen Alltag berichtet, ist aussergewöhnlich. Im Gespräch mit der 1973 geborenen Regula Grenier wird schnell klar, dass sie seit der Jugendzeit zielstrebig ihren Weg geht und ihre Träume zu verwirklichen sucht. So, wie sie schreibt, erzählt sie auch aus ihrem Leben: präzise und schwungvoll und mit einem unüberhörbar amerikanischen Zungenschlag.
Weg wollte sie schon immer, so wie auch ihre Eltern längere Zeit im Ausland gelebt und gearbeitet hatten. Ihre Mutter habe immer gesagt, die Jahre im Ausland seien ihre besten gewesen. Das hat die Tochter geprägt und bewog sie, als Sechzehnjährige für ein Jahr als Au-pair vorerst nach Genf zu gehen. Nach der darauffolgenden Lehre als Fotofachangestellte reiste sie 1994 ein erstes Mal in die USA, wiederum als Au-pair bei einer Familie im Staat Virginia. «Als Aupair zu arbeiten war für mich damals die einzige finanzierbare Möglichkeit, nach Amerika zu reisen», erläutert sie ihre Vorgehensweise. Nach ihrer Rückkehr in die Schweiz blieb sie bei ihren Eltern, um ihrer krebskranken Mutter bis zu deren Tod 1996 beizustehen.
Rocky Mountains statt Hoch-Ybrig Die Leidensgeschichte und der Tod der Mutter haben Regula Grenier bis heute geprägt, auch was ihre beruflichen Tätigkeiten anbelangt – doch dazu später. Während der Zeit zu Hause bei ihrer Familie plante sie ihre nächsten Schritte, um beruflich und dadurch finanziell unabhängig ins Ausland gehen zu können. So absolvierte sie die Tourismusfachschule in Luzern und fand einen Job bei der Crossair und später bei einer Schifffahrtsgesellschaft in Basel. Dort lernte sie ihren ersten Mann kennen, einen US-Amerikaner. Das Paar entschied sich, in der Schweiz zu bleiben, aber der Ehemann fand weder Arbeit, noch lernte er Deutsch, deshalb wanderten sie 2007 nach Denver, Colorado aus. Weshalb Denver? «Mein Mann hatte das Gefühl, als Einsiedlerin bräuchte ich bestimmt Berge um mich he-rum, dabei kannten wir in Denver nur gerade einen einzigen Menschen », erinnert sie sich an die schwierige Ankunft am Fuss der Rocky Mountains.
Schweizer Würste made in USA Regula Grenier lernte die Hauptstadt Denver schätzen und blieb – die Ehe ging trotzdem in die Brüche. Und sie verliebte sich in ihren zweiten Mann Leo, Betriebsmechaniker in einer Wurstfabrik, die im vorletzten Jahrhundert von Schweizern gegründet worden war und nach wie vor Würste nach Schweizer Rezepten herstellt: «Cervelats und Wienerli vermisse ich deshalb nicht», lacht sie.
2011 zügelte das Paar nach Thornton, einen der grössten Vororte von Denver. Seit der Geburt der Kinder Cody Frederick (2011) und Stephanie Nova (2015) ist Regula Grenier vor allem Mutter, weil sie keine Familienmitglieder in der Nähe hat, die sie entlasten könnten. Was nicht heisst, dass sie den ganzen Tag nur für die Kinder da ist. Dank ihres Organisationstalents hat sie sich ein beachtliches Arbeitsprogramm zusammengestellt, das sie von zu Hause aus oder stundenweise auswärts absolvieren kann.
Kolumnen und Trauerbegleitung Angefangen bei den «Briefen aus den USA» für den Einsiedler Anzeiger. Die Kolumnen, die sie seit 2008 für den EA schreibt, bezeichnet sie als ihre langjährige und stabile Konstante unter all ihren Tätigkeiten. Die Geschichten dazu schnappt sie im Supermarkt auf, bei Gesprächen in der Schule, oder sie greift Themen auf, welche die Menschen in ihrer Umgebung oder auch landesweit beschäftigen. Ihre Absicht ist klar: «Mit meinen Storys möchte ich die Einsiedlerinnen und Einsiedler unterhalten und bilden.» Das tägliche Leben in Thornton ist in vielerlei Hinsicht anders als hier in Einsiedeln, aber Regula Grenier betont: «Die Alltagssorgen und die Alltagsfreuden sind eigentlich die gleichen, egal, wo man lebt.» Ein zweites berufliches Standbein hat sie sich nach dem frühen Tod ihres Schwagers aufgebaut. Sie begleitete ihre Schwägerin im Trauerprozess und beobachtete, wie unterschiedlich und zum Teil hilflos ihr Umfeld mit dem Tod eines nahen Angehörigen umging. Diese und ihre eigenen Erfahrungen beim Tod ihrer Mutter bewogen sie zu einer Ausbildung zur Trauerbegleiterin. Seit 2017 trägt sie mit ihren konfessionell neutralen Kursen und Workshops im Gemeindezentrum von Thornton nun etwas zum Seelenheil von Trauernden bei.
Seniorenbetreuung und Reisebüro Seit Tochter Stephanie in die Ganztagesschule geht, öffnete sich für Regula Grenier werktäglich ein zusätzliches Zeitfenster von sieben Stunden. Das ist zu kurz, um einen Vollzeitjob auszuüben, aber zu lang, um einfach nichts zu tun. Die nächste bezahlte Beschäftigung war schnell eruiert: Seit 2021 engagiert sie sich in der Betreuung von Senioren, vergleichbar mit unserer Spitex. Aktuell erleichtert sie während sechzehn Stunden pro Woche vier älteren Damen den Alltag, begleitet sie zum Einkaufen und zum Arzt, hilft bei Problemen mit dem Hörgerät, unterstützt sie im Haushalt und bei der Betreuung der Haustiere. Die Einsatzzeiten kann sie mit den Seniorinnen absprechen und selbst einteilen: «Diese Arbeit macht mir grosse Freude und erfüllt mich sehr.» Als wenn dies nicht schon genug Engagements wären für eine Frau, die von sich sagt, sie sei «hauptsächlich Mutter», kommt eine weitere Leidenschaft dazu: das Organisieren von Reisen. Die Tourismusfachfrau Regula Grenier kommt ins Schwärmen, wenn sie von ihrem Hobby erzählt, denn das ist es im Moment noch – leider: «Es dürfte gerne besser laufen.» Sie bietet keine Pauschalreisen an, sondern stellt Reisebestandteile zusammen für Leute, die Flug und Hotel für ihre Europareise schon gebucht haben und gern mehr über Land und Leute erfahren möchten. Zum Angebot gehören Vorschläge für Sehenswürdigkeiten, Reiserouten, Ausflüge und vieles mehr.
Projekt Auswanderungsgeschichte Und was kommt als nächstes? Regula Grenier wird in den USA bleiben, die Rückkehr in die Schweiz ist kein Thema: «Ich bin amerikanisch geworden, seit 2012 habe ich auch den US-amerikanischen Pass», erklärt sie. Langweilig wird es ihr am Fuss der Rocky Mountains nicht werden, ihr nächstes Projekt ist bereits in der Pipeline. Sie möchte ihre eigene Auswanderungsgeschichte niederschreiben, doch dafür wird sie mehr Raum und Ruhe brauchen, als ihr aktuell zur Verfügung stehen. Immerhin, das Inhaltsverzeichnis besteht schon und auch der Titel steht fest: «Ich lebe meinen Traum.»
Foto: ggm.