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«Man beschimpft die Bauernkinder, sie seien Tierquäler – das ist traurig»

«Man beschimpft die Bauernkinder, sie seien Tierquäler – das ist traurig» «Man beschimpft die Bauernkinder, sie seien Tierquäler – das ist traurig»

Die Gersauerin Edith Camenzind präsidiert die Schwyzer Bäuerinnen. Sie spricht über den Druck auf die Landwirtschaft.

JÜRG AUF DER MAUR

Sie sind seit März Präsidentin der Schwyzer Bäuerinnenvereinigung. Die Landwirtschaft ist stark unter Druck. Wie stark belastet Sie das? Mich persönlich trifft das nicht so stark. Wir leben hier oben, hoch über Gersau, noch ein bisschen in der heilen Welt.

Aber?

Ich finde es einfach mühsam und umständlich, dass wir Bauersleute uns immer wieder verteidigen und rechtfertigen müssen. Das belastet viele Bauernfamilien stark, nicht nur die Bäuerinnen. Vor allem im Tal haben sie damit zu kämpfen. Traurig finde ich vor allem, dass die Kinder in der Schule gemobbt werden: Das stimmt mich nachdenklich. Wie äussert sich dieses Mobbing?

Man beschimpft die Kinder, sie seien Tierquäler, Luftverpester und würden die Umwelt unnötig belasten. Das geht so weit, dass die Kinder keine Lust mehr haben, die Schule zu besuchen.

Auch im Kanton Schwyz?

Es kommt immer häufiger vor. Aber im Vergleich zum Mittelland oder zu städtisch geprägten Gebieten geht es uns hier im Berg-land diesbezüglich noch gut. Was für Ziele haben Sie sich denn für Ihre Amtszeit gesetzt? Es ist vor allem wichtig, dass wir Bäuerinnen und Landfrauen präsent sind und zeigen, dass wir da sind. Es gilt aber auch, die Zusammenarbeit mit den anderen Frauenverbänden im Kanton zu fördern. Ist der Druck auf die Landwirte ein Dauerthema in der Bäuerinnenvereinigung?

Im Verband ist das ein Thema, wenn auch nicht übermässig. Die Bäuerinnenvereinigung legt vor allem Wert auf den Austausch und die Geselligkeit. Man hört immer wieder, dass die geringe soziale Abfederung die grösste Sorge der Bäuerinnen sei.

Das ist nicht nur eine Sorge der Bäuerinnen, sondern der ganzen Familie. Und es betrifft viele Landwirte. Auch Hausfrauen oder Hausmänner stehen nicht besser da. Meistens sind beide Ehepartner auf einem Betrieb schlecht abgesichert. Mehr als eine Minimalrente gibt es häufig nicht – und auch Zusatzversicherungen oder Absicherungen gegen Unfall oder Arbeitsunfähigkeit liegen nicht drin. Das Schlimme ist: Man merkt erst, was fehlt, wenn man es nötig hätte. Aber dann ist es oft zu spät. Wie schlimm ist es bei uns?

Das kann ich nicht sagen, mir fehlen dazu Zahlen. Im Gespräch mit Frauen stelle ich einfach fest, dass es alles gibt: Solche, die gut unterwegs sind – und andere, die nichts haben. Was macht die Vereinigung?

Wichtig ist die Aufklärung: Die Familien müssen früh schauen und abwägen, was drinliegt, was Sinn macht und was sie tun könnten und sollten. Ein grosses Problem ist der Klimawandel. Wird genug unternommen, um das Schlimmste noch abzuwenden? Was ist schon genug? In der Landwirtschaft geht einiges in die richtige Richtung. Man verwendet Schleppschläuche, um die Emissionen zu verringern, man sorgt sich um die Biodiversität, den Pflanzenschutz. Da kommt sicher noch mehr auf uns zu. Aber der Klimawandel ist letztlich ein Problem von uns allen. Nur wenn alle etwas dagegen tun, ändert sich auch etwas. Auch hier gilt: Mit «saisonal und regional» kann jeder seinen Beitrag leisten.

Der Wolf kommt immer näher, auch in den Kanton Schwyz. Geht bei den Bauern wirklich die Angst um? Der Wolf ist ein Thema, das viele von uns beunruhigt. Auch ich fürchte mich als Mutter von vier Kindern. Wir wohnen auf tau-send Metern hoch über Gersau, schon fast auf der Rigi. Ich weiss ja nicht, ob der Wolf schon hier ist oder nicht. Aber wenn es einen Wolf bei uns gibt, würde ich meine Kinder nicht mehr durch unseren Wald von der Alp oder auf den Schulweg gehen lassen. Auf den Alpen herrscht Wassermangel. Wie soll dem in Zukunft begegnet werden? Wenn sich die heissen Sommer mehren, kann das langfristig zu einem grossen Problem werden. Für die Alpen wäre es wichtig, dass die Umweltverbände nicht bei jedem Projekt Einspruch machen.

Weshalb?

Die Erschliessung von Alpen wird je länger, desto wichtiger. Es gibt im Kanton Schwyz noch immer Alpen, die nicht erschlossen sind. Wie soll ihnen im Notfall Wasser gebracht werden – oder wer pflegt dann diese Alpen? Was für Forderungen oder Wünsche haben Sie an die Gesellschaft und die Politik? Wenn wir mit Touristen reden, kommt uns viel Wertschätzung entgegen. Das sollte nicht nur im Berggebiet gelten, sondern generell in der Landwirtschaft – auch im Tal. Unsere Aufgabe ist es, Lebensmittel zu produzieren und die Leute zu ernähren. Das ist vielen nicht mehr bewusst, und wir werden mit Vorschriften und Bürokratie bombardiert. Ich möchte, dass die Leute wieder lernen, unsere Arbeit zu akzeptieren. Wir sind Fachleute und machen unseren Beruf nach bestem Wissen und Gewissen. Die Preise für Landwirtschaftsprodukte sind unter Druck. Doch auch Bäuerinnen kaufen dort ein, wo es am günstigsten ist. Ist das nicht ein Widerspruch?

In erster Linie sind wir Bäuerinnen und Bauern Selbstversorger. Das Konsumverhalten anderer kann ich nicht beurteilen. Ich kann nur von uns sprechen. Mir ist wichtig, saisonal und regional einzukaufen. Das betrifft nicht nur Landwirtschaftsprodukte: Wir berücksichtigen auch konsequent das einheimische Gewerbe. Und was geht Ihnen persönlich näher: Der Preisdruck oder der politische Druck, der auf die Landwirtschaft gemacht wird? Dass wir Bauersleute uns immer rechtfertigen und erklären müssen, trifft mich am meisten. Die Wertschätzung für die produzierende Landwirtschaft ist am Sinken. Das stimmt mich nachdenklich. Schliesslich produzieren wir Lebensmittel für uns alle. Die Flut von Initiativen ist schrecklich. Kaum ist eine vorbei, kommt schon die nächste. Auch bei der Massentierhaltungsinitiative fürchten die Bauern die ausländische Konkurrenz, weil diese billiger ist. Haben Sie kein Verständnis, dass der «Büezer» auf sein Portemonnaie schauen muss? Wie gesagt, jeder entscheidet selber über sein Konsumverhalten. Aus meiner Sicht sollte der Kassenzettel mit dem Stimmzettel übereinstimmen.

Das heisst?

Man kann nicht von der Landwirtschaft erwarten, dass sie Bio produziert, und dann diese Produkte nicht kaufen. Das geht nicht. Klar, der Initiativtext verlangt die gleichen Standards auch für den Import. Aber wer will das schon kontrollieren? Die Welt wartet doch nicht auf die Schweiz und ahmt sie postwendend nach!

Hoch über Gersau wohnt und arbeitet die Präsidentin der Schwyzer Bäuerinnenvereinigung, Edith Camenzind. Foto: Jürg Auf der Maur

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