«Lohnenswert und bereichernd»
Ein Hochschulpraktikum führte den Einsiedler Ramon Zehnder für ein Jahr nach Malaysia
Ein Jahr lang arbeitete Ramon Zehnder auf der Schweizer Botschaft in Kuala Lumpur. Nun ist er wieder zurück in der Schweiz.
VICTOR KÄLIN
Der Einsiedler Ramon Zehnder (24) absolvierte zwischen Juli 2021 und Ende Juni 2022 auf der Schweizer Botschaft in Malaysia in Kuala Lumpur ein Hochschulpraktikum. Für den Einsiedler Anzeiger schrieb er in regelmässigen Abständen in der Rubrik «Brief aus Malaysia» über seine Erlebnisse. Nach seiner Rückkehr in die Schweiz stellte er sich den Fragen unserer Zeitung.
Hat das Hochschulpraktikum auf der Schweizer Botschaft in Kuala Lumpur Ihre Erwartungen erfüllt? Ja, das hat es. Ich habe sehr viel gelernt und durfte einen guten Blick hinter die Kulissen einer Botschaft erhaschen. Insgesamt erhielt ich den erwünschten Einblick in die internationale Politik und die Diplomatie. Auch privat konnte ich profitieren, durfte ich doch Malaysia und weitere Teile Südost-Asiens erkunden und viel besser kennenlernen.
Wie sah Ihr Arbeitsalltag aus?
Ein Teil meiner regelmässigen Arbeit waren Medienanalyse und Berichterstattung, wobei mein Fokus auf der Innen- und Aussenpolitik sowie den Menschenrechten lag. Zusätzlich galt es, Anfragen von Schweizer Unternehmen zu Malaysia zu beantworten sowie Reisen und diplomatische Treffen der Botschafterin vorzubereiten. An diesen Treffen konnte ich regelmässig ebenfalls teilnehmen. Insgesamt war mein Berufsalltag interessant und vielfältig. Und wie lebte es sich als Privatperson?
Das Wohnen in Kuala Lumpur hat mir gut gefallen. Ich fühlte mich wohl, selbst wenn es das ganze Jahr sehr heiss und feucht gewesen ist. Ich fühlte mich auch jederzeit sicher und konnte mich immer frei bewegen – mit Ausnahme während der Corona-Einschränkungen. Worin unterscheidet sich das private Leben in Kuala Lumpur, in Malaysia generell von jenem in der Schweiz? Kuala Lumpur ist eine Grossstadt und entsprechend anonym. Ich nahm Stadt und Land als Schmelztiegel der Kulturen wahr. Mein engster Kollegenkreis setzte sich mit Personen aus Malaysia, China und Pakistan zusammen – Regionen, mit denen man sonst wenig in Berührung kommt. Ein Jahr beruflich im Ausland – und erst noch in Asien: Verändert das den Blick auf die Welt? Ich glaube schon, schaue ich doch die Probleme der Schweiz aus einem anderen Winkel an. Sieht man die Probleme anderer Weltregionen, relativieren sich jene der Schweiz.
Europa steht in Asien – wenig überraschend – nicht im Zentrum des Interesses. Asien ist eine grosse und eigene Welt, von der man in der Schweiz erstaunlicherweise aber wenig hört. Wie nimmt man in Malaysia die Schweiz wahr? Viele Menschen kennen die Schweiz. Unser Land wird in Verbindung gebracht mit Schönheit, Natur und Ruhe. Es geniesst insgesamt ein hohes Ansehen. Obwohl das Klischee, dass alle Schweizer sehr reich seien, weit verbreitet ist, ist die Wahrnehmung der Schweiz eine grundsätzlich positive. Und wie reagieren Einheimische auf Sie als Schweizer? Sehr positiv. Sie kamen offen auf mich zu. Die Malaysier sind sehr gastfreundlich. Entsprechend oft wurde ich auch eingeladen. Auffallend ist auch, dass die weisse Haut in Asien noch immer als Schönheitsideal wahrgenommen wird. Kommt Ihnen nach Ihrer Rückkehr die Schweiz kleiner vor als zuvor – oder grösser oder sonstwie anders?
Ruhiger ist sie mir vorgekommen. Sehr ruhig sogar und sehr sauber … Und die Natur mit Bergen und Seen nach so langer Zeit wieder einmal zu sehen, ist schon beeindruckend. Sie reisten mitten in der Corona- Krise nach Asien. Wie hat das Land Malaysia die Pandemie gehandhabt?
Deutlich strenger und restriktiver als in der Schweiz. Die Leute hatten auch eine höhere Disziplin. Die Schulen waren fast ein ganzes Jahr geschlossen und zeitweise durfte man sich nur innerhalb eines Rayons von zwei Kilometern bewegen. Ich hinge-gen durfte auf die Botschaft zur Arbeit, da diese als essenzieller Sektor gilt. Ansonsten musste Homeoffice arbeiten – wer konnte. Trotz dieser und weiterer Einschränkungen gab es kaum Proteste. Das Auffallendste war ein Streik von rund 1000 Personen. Und noch ein Thema ist weltumspannend: Der Krieg in der Ukraine. Wie nimmt man diesen in Malaysia wahr? Ist der Krieg für die Regierung, für die Bevölkerung ein Thema?
Nur am Rande. Kulturell und geografisch ist der Krieg sehr weit weg. Das ist für Malaysia etwa so wie für uns ein Krieg in Myanmar – darüber wird in Westeuropa auch nur am Rande berichtet. Die Regierung in Kuala Lumpur spricht sich zwar gegen den Krieg in der Ukraine aus; aber Russland verurteilt hat sie nicht. Welche Themen sind oder waren für Malaysia wichtiger? (überlegt) Aktuell beschäftigt das Land ein innenpolitischer Machtkampf. Auch Corona ist weiterhin ein Thema, gilt doch für Einkaufszentren und den öV die Maskenpflicht weiterhin. Im Winter gab es eine der grössten Überschwemmungen des Landes. Sogar Kuala Lumpur wurde überschwemmt – wahrscheinlich gar zum ersten Mal in diesem Ausmass. Und so wird auch der Klimawandel in Malaysia immer mehr zum Thema. Und hatte der Kriegsbeginn im Februar 2022 einen Einfluss auf Ihre Arbeit auf der Schweizer Botschaft? Das war tatsächlich so. Ich erhielt den Auftrag, die Reaktionen der Regierung, ihren Auftritt in der UNO oder dem Menschenrechtsrat, oder auch die Aussagen der Politiker zu analysieren. Wie gesagt: Malaysia spricht sich zwar gegen den Krieg aus, ergreift aber keine Sanktionen.
Nach Ihrer Motivation gefragt, erzählten Sie vor Ihrer Abreise, dass «Diplomatie durchaus etwas wäre …». Sehen Sie das noch immer so? Momentan sehe ich für mich eher keine diplomatische Karriere. Insofern verschaffte mir das Praktikum Klarheit auch in dieser Frage.
Warum?
Diplomatie ist für mich zu analytisch, zu vermittelnd und zu beobachtend. Ich würde mich lieber mit konkreten Projekten und konkreten Produkten beschäftigen; vorzugsweise bei einer Nicht-Regierungs-Organisation oder in der Privatwirtschaft. Wie geht es beruflich mit Ihnen weiter? Im Sommer 2021 habe ich meine Bachelor-Arbeit über Internationale Beziehungen eingereicht. Thema war das Asylwesen in der EU. Im Herbst 2022 nehme ich das Masterstudium an der Universität St. Gallen HSG in Management, Organisation und Kultur auf. Da warten drei weitere Semester auf mich. Ich freue mich vor allem auf den hohen Praxisbezug.
Welche Tätigkeiten kommen für Sie nach dem Studium in Frage?
Kommunikationsabteilungen, oder generell Abteilungen, welche sich mit internationalen Prozessen oder Lieferketten befassen. Das können Nicht-Regierungs- Organisationen, andere Organisationen oder Unternehmen der Privatwirtschaft sein. Diesbezüglich habe ich noch keine Fühler ausgestreckt. Reizen würde mich eine Organisation mit gesellschaftlichem Zweck im Bereich der Nachhaltigkeit.
Und ist es für Sie auch denkbar, beruflich wieder in Asien tätig zu sein? Temporär vielleicht schon. Langfristig niederlassen werde ich mich aber trotzdem wohl in der Schweiz – obwohl ich Südost-Asien enorm spannend finde. Dort-hin zu reisen und sich mit den Kulturen auseinanderzusetzen, kann ich nur empfehlen. Das ist lohnenswert und sehr bereichernd.
Und was bleibt?
Es sind die Menschen, denen ich in den letzten Monaten begegnet bin. Mit denen ich unter einem Dach gewohnt und zusammengearbeitet habe. Ich bleibe in Kontakt, auch wenn es nicht so einfach ist, «sich mal schnell zu treffen».
«Sieht man die Probleme anderer Weltregionen, relativieren sich jene der Schweiz.»