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Zweimal

ERNST FRIEDLI

Es passiert zwar nicht oft, aber trotzdem immer wieder. Kürzlich waren wir bei heiterem Himmelblau und warmem Sonnenschein wieder einmal auf unserem Wanderweg unterwegs. Er führt als Feldweg unangestrengt durch grüne Wiesen und endet als Rundweg dort, wo er beginnt, was grundsätzlich sehr praktisch ist. Unterwegs begegnete uns eine Frau, welche zügigen Schrittes auf uns zukam, wobei unsere eigenen Schritte die Zügigkeit verdoppelten. Sie trug eine auffallend tomatenrote Jacke. Wir grüssten uns freundlich mit einem deutlichen «Guottag!» und schritten zügig weiter. Wir genossen die weite Aus-und Fernsicht, und ich summte innerlich ein Liedchen vor mich hin. Über dem nahen Wald surrte emsig ein Holzer- Helikopter, ein Milan schwang sich durch die frische Luft, und in den Schrebergärten schossen die letzten Salate aus: Man spürte, dass der Sommer vorbei war, – und es war gut so. Da sah ich sie wieder: Im bereits bekannten Tomatenrot kam uns dieselbe Frau auf demselben Rundweg zügigen Schrittes wieder entgegen. Ich geriet in Unruhe, denn «Guottag» hatten wir uns bereits gewünscht, und ein kommunes «Grüezi» liess sich auch nicht mehr austauschen. Ich geriet in Zeitdruck, da wir uns wieder zügig annäherten. Als wir uns kurz darauf zum zweiten Mal kreuzten und sich für einen Augenblick ein Gefühl zart keimender Bekanntschaft einstellte, gelang es mir, das dräuende Schweigen mit einem frohgemuten «En schönä Tag!» zu durchbrechen und unserer flüchtigen Verbundenheit gültigen Ausdruck zu verleihen. Erleichtert bogen wir von dannen in die letzte Kurve.

* Ernst Friedli, 64, seit 31 Jahren verheiratet mit Klärli, geborene Schönbächler. Nichtraucher und Sachbearbeiter im Rathaus, steht unter Amtsgeheimnis. Macht sich in der Freizeit Gedanken zur Weltlage und grüsst möglichst gern nachhaltig.

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