Nach 47 Jahren bei der SOB ist Walter Schönbächler in den Ruhestand gefahren
Walter Schönbächler ist der Prototyp eines Lokführers, ein Bähnler durch und durch. Doch jede Reise nimmt einmal ein Ende: Am 25. August fuhr er letztmals im Bahnhof Einsiedeln ein.
Mit Walter Schönbächler kann man nicht einfach nach Drehbuch diskutieren. Bevor er auf das Thema des Tages – seine ordentliche Pensionierung – zu sprechen kommt, doziert er eine gefühlte Stunde lang über die Herbstwahlen. Und über die Bienen, eine weitere Leidenschaft, hat er in dieser Zeit noch kein Wort verloren. Geschweige denn über den Wein und seine Weinhandlung Paracelsus. Man glaubt es ihm: «Langweilig wird mir auch jetzt nicht. Ich fülle meine Tage.» Gebührend verabschiedet
Ausgefüllt waren die Tage des 65-Jährigen auch bis anhin. Nicht weniger als 47 Jahre stand er in Diensten der SOB. Von der Lehre 1974 als Maschinenschlosser in Samstagern bis hin zum langjährigen Lokführer. Eine unglaubliche Zeitspanne. «Ich bin nicht der Einzige, der sein Leben bei der Bahn verbringt», relativiert er. «Es gibt andere, die ebenfalls auf viele Jahre kommen. Das zeigt die Faszination der Bahn.» Natürlich sind die 47 Jahre seinem Arbeitgeber nicht entgangen. Am 25. August, seinem letzten Arbeitstag, gabs für ihn «einen grossen Bahnhof». Die letzte Fahrt des Lokführers wurde gebührend gefeiert. Walter Schönbächler konnte Abschiedsroute und Begleitperson wählen – natürlich seine Lebenspartnerin Ingrid Steiner (siehe Kasten). Als er im Zielbahnhof Einsiedeln einfährt, wird er per Zugzielanzeige mit «Lieber Walter – vielen Dank» und von über 50 Kolleginnen und Kollegen begrüsst: Manche sind längst pensioniert, andere haben eine lange Karriere noch vor sich. Es gab Alphornklänge, ein Glas Wein und anschliessend im ehemaligen SOB-Güterschuppen ein Bähnlerfest.
Die Südostbahn veröffentlichte auf ihrer Homepage zur gleichen Zeit eine sympathische Verabschiedung, die Medienchef Conradin Knabenhans mit viel Empathie verfasst hat (und auf die sich die Berichterstattung des EA ebenfalls bezieht). «Dieser Abschied», so Schönbächler, «hat mich richtig gefreut! »
Der erste Lernende in Samstagern
1974 war Walter Schönbächler der erste Auszubildende in Samstagern überhaupt: «Ich wollte von Beginn an gute Büez leisten», erzählt er rückblickend. Nach seiner Lehre, Abschlussnote 5,3, zieht es ihn in einen Produktionsbetrieb zu BBC in Oerlikon, verkabelt dort etwa die mächtigen Güterlokomotiven Re 6/6.
Doch rasch zieht es ihn zurück. «Nun stelle ich fest, dass mir diese Arbeit überhaupt nicht zusagt», schreibt er von Hand in seiner Bewerbung an die Südostbahn. «Da ich annehme, dass Sie in der nächsten Zeit neues Personal für den Fahrdienst brauchen, will ich mich bei Ihnen als Lokführeranwärter bewerben. Mit vorzüglicher Hochachtung, Walter Schönbächler.» Der junge Berufseinsteiger erhält den Job und fährt fortan auf dem SOB-Streckennetz von Wädenswil nach Einsiedeln und von Rapperswil nach Goldau. Die drei Jahre dauernde Ausbildung beendet er mit der SBB-Prüfung, die er mit Bravour besteht – nicht nur, weil er als Prüfling bei einem praktischen Teil schlicht und einfach vergessen ging, wie er betont.
Güterverkehr als Ausweg Mit der Zeit wird es Walter Schönbächler auf dem SOB-Streckennetz zu eng. Aber weg will er auch nicht: Er ist in Einsiedeln zu Hause, ein «Heimweh-Einsiedler», engagiert in Vereinen und Politik, hat eine eigene Familie. Mit der Bahnliberalisierung wird die SOB plötzlich mit einer Tochterfirma im Güterverkehr national tätig. «Das war eine riesige Bereicherung. » Vor allem der Gotthard tut es Schönbächler an.
Einfach zu führen ist Schönbächler nicht. Er ist auch Gewerkschafter, 16 Jahre lang im Vorstand des SEV: «Ich habe eine gewisse Streitlust.» Aber: «Kritisieren muss am richtigen Ort passieren, mit den richtigen Argumenten, mit den richtigen Worten. » Dieses Geben und Nehmen ist für ihn zum Berufscredo geworden. Und er rät Kolleginnen und Kollegen: «Packe die Chancen, die dir geboten werden – du weisst nicht, wann du in die-ser schnelllebigen Zeit noch froh darum sein wirst.» «Die Bahn – meine Berufung»
Der 65-Jährige hat seine Berufswahl nie bereut: «Es ist meine Berufung.» Nur einmal vor vielen Jahren bewarb er sich als Schulungs- Imker. Gewählt wurde ein anderer. «Das war auch gut so. Ich haderte nicht.» Und so ist Schönbächler 30 verschiedene Fahrzeug- und Lokomotivtypen gefahren, hat die rasante Entwicklung der Technik miterlebt und die Veränderungen im Beruf gespürt: «Im Reservedienst hat man sich früher noch richtig die Hände schmutzig gemacht, da waren wir alle an den Lokomotiven und reparierten etwas.» Heute geht das nicht mehr: Die Fahrzeuge haben einen technologischen Sprung gemacht, die Wartungsvorgaben sind strenger. Sein technisches Verständnis ist dafür geblieben: «Das ist mir in Fleisch und Blut übergegangen.» Irgendwelche Räubergeschichten tischt Walter Schönbächler nicht auf. Stattdessen merkt er bescheiden und dankbar an, dass «ich Glück hatte, nie einen Unfall zu erleben». Selten sei das, gerade im Cargo-Dienst der SBB, «wo man letztlich irgendwie auch auf sich gestellt ist». «Diese Dynamik, diese Kräfte!»
«Geplangt» hätte er nicht auf die Pensionierung. Und so begleitet Wehmut den Wechsel. «Ich bin ein Eisenbähnler durch und durch. Mein Leben lang habe ich mit Lokomotiven zu tun gehabt», kommt Schönbächler ins Sinnieren. «Ein Güterzug von 700 Metern Länge ist einfach geil! Da spürt man die Dynamik, die Kräfte. » Wie jetzt im Gotthard-Basistunnel, mit dem Unfall. Schönbächler kann das Geschehene nur allzu gut nachvollziehen. «Den Zug 45016 durch den Gotthard bin ich häufig gefahren. » Doch nun ist auch dieser Lebensabschnitt zu Ende. «Bis zum letzten Tag bin ich gerne zur Arbeit gegangen.» Sich sorgen um Walter Schönbächler muss niemand. Seine grosse Leidenschaft gehört den Bienen. Dann versucht er sich wieder einmal als Modellflieger im Segeln, Pilze und Wein ha-ben es ihm ebenfalls angetan, die Politik lässt ihn auch nicht los. «Und dann bin ich ja noch Grossvater geworden.» Um sich sogleich zu wundern: «Eigentlich bin ich ja noch jung!»
Freitag, 25. August: Die letzte Einfahrt
Vi. Die letzten Meter, die letzte Einfahrt von Walter Schönbächler als Lokführer hat Conradin Knabenhans, der Medienchef der Südostbahn, atmosphärisch verewigt: «Sie ist unüberhörbar: Die Lokpfeife des SOB-Flirts. Eigentlich dient sie Lokführer Walter Schönbächler zur Warnung vor Gefahren, heute ist sie in den Händen seiner Partnerin Ingrid Steiner. Sie drückt nicht einmal, nicht zweimal, sie kostet es bei der Einfahrt in den Bahnhof Einsiedeln richtig aus. Mal lang, mal kurz – immer mit einem breiten Grinsen im Gesicht.
Die Pfiffe sind für ihren Walter: 47 Jahre lang steht der Lokführer im Dienst der SOB. Nun fährt er mit der S13 19358 in seine Pensionierung. Seine Partnerin darf, begleitet vom Einsiedler Oberlokführer Fabian Lacher, am letzten Tag mit im Führerstand fahren – und zum Schluss diese eine Taste drücken. «Jetzt isch aber guet», weist Walter Schönbächler seinen Schatz nach dem x-ten Pfiff an und schiebt schmunzelnd nach: «Es ist mir ja fast ein wenig peinlich mit diesem Pfeifen.» Die letzten Meter vor dem präzisen Halt an Gleis 1 gehören allein ihm: Hebel runter, der Zug steht. Erst eine innige Umarmung mit seiner Lebenspartnerin, dann öffnet der 65-Jährige die Türen und zieht das Rollo am Fenster runter. Das wars.»
Fotos: Conradin Knabenhans