«Selbsterfahrung ist wichtig, um die Situation zu spüren»
Schwyz Tourismus und Pro Infirmis spannen zusammen. Sie möchten touristische Orte im Kanton für Behinderte erschliessen und das Verständnis für betroffene Menschen erhöhen. Carmen Schuler von Schwyz Tourismus gibt Auskunft.
Die Veranstaltung von Schwyz Tourismus und Pro Infirmis heisst «Perspektivenwechsel» – was steckt in diesem Wort? Bei diesem gemeinsamen Projekt mit der Pro Infirmis geht es darum, sich als Fussgänger einmal in die Situation eines Rollstuhlfahrers zu versetzen und dessen Perspektive einnehmen zu können. Bei unserem Parcours haben wir keine speziellen Schikanen eingebaut, sondern zeigen sehr alltägliche Situationen, mit denen die Betroffenen konfrontiert werden: zum Beispiel über Kiesboden zu fahren, durch einen Eingang mit einer Schmutzschleuse zu kommen und eine Reception «auf Augenhöhe» zu erleben. Wie wichtig ist Selbsterfahrung?
Ich denke, die Selbsterfahrung ist sehr wichtig, um die Situation zu spüren. Wer selbst einmal an einen Fünf-Zentimeter-Absatz herangefahren und ausgebremst worden ist, wird nicht mehr denken «das ist doch nur ein kleiner Absatz». Dasselbe gilt für eine «leichte Steigung», wo sich normalerweise niemand fragt, wie sie jemand im Rollstuhl überwinden kann. Schwyz Tourismus erfasst in einer Studie die Barrierefreiheit touristischer Lokale – wie gehen Sie vor? Wir besuchen touristische Objekte – Restaurants, Hotels, Museen, Kinos, Bergbahnen und so weiter. Nachdem die Inhaber im Vorfeld informiert wurden, geht eines unserer Erfasserteams, die zum Teil aus Betroffenen bestehen, vor Ort und nimmt an-hand unseres Systems sehr detailliert und mit Bildern die Gegebenheiten auf. Das reicht von der Steigung der Zufahrt über die Art des Eingangs. Ist er stufenlos? Falls nicht, gibt es einen Nebeneingang? Gibt es einen Handlauf an der Treppe, und wie hoch sind die Stufen?
Was passiert nach der Aufnahme der Informationen?
Nachdem die Erfassungen von der Pro Infirmis bestätigt wurden, wird ein Link generiert, der an die besuchten Lokalitäten weitergegeben wird mit der Bitte, diesen auf der Webseite zu veröffentlichen. Wir aktualisieren die Angaben alle fünf Jahre. Wir sind auf den Goodwill der Inhaber angewiesen und hoffen, dass diese es ebenfalls wichtig finden, dass unsere Informationen aktuell und zugänglich sind. Es ist also keine «Kontrolle»?
Nein, es geht nicht darum, ob ein Lokal barrierefrei ist oder nicht, sondern darum, sich ein realistisches Bild von der Situation machen zu können. Die Möglichkeiten und Bedürfnisse der betroffenen Personen sind sehr individuell. Behinderte erhalten dadurch Planungssicherheit und können selbst entscheiden. Wo gibt es die grössten Mängel bei der Barrierefreiheit? Bei der Zugänglichkeit der Toilet-ten. Wir haben im Kanton Schwyz sehr viele Betriebe, die gut bis sehr gut zugänglich sind, wo ein Rollstuhlfahrer aber nicht die Toilette benutzen kann. Meistens ist das ein Platzproblem, das nur schwer behoben werden kann. Wie wird Ihr Projekt unterstützt?
Der Kanton Schwyz hat als erster Zentralschweizer Kanton mit der Erfassung begonnen und treibt diese stark voran. Der Kanton unterstützt das Projekt auch finanziell und ist darum ein wichtiger Partner. Auch von den meisten Tourismus-Betrieben werden wir in der Regel mit offenen Armen empfangen, und ich kann jene Orte an einer Hand aufzählen, die nicht mitmachen wollen. Heute reisen viele Behinderte – wie gross ist das touristische Potenzial in der Region? Wir sind erst dabei, uns einen Überblick zu verschaffen, und erst mit diesem Wissen lässt sich das Angebot ausbauen. Gut zugänglich sind bereits die Bergregionen Rigi, Sattel-Hochstuckli und Stoos, wo man beispielsweise einen geländegängigen Rollstuhl mieten kann. Auf der Rigi gibt es ab diesem Sommer auch einen Audio-Guide für Sehbehinderte, um ihnen das Erlebnis über das Gehör zugänglich zu machen. Wie gut steht Einsiedeln bezüglich Barrierefreiheit da? In Einsiedeln gibt es eine ganze Reihe gut zugänglicher Hotels und Restaurants. Gerade oben am Klosterplatz gibt es sehr gute Möglichkeiten für Rollstuhlfahrer. Auch das Kloster ist gut zugänglich, zum Beispiel wenn man per Rollstuhl an einer Führung in die Klosterbibliothek teilnehmen will. Das Kloster wurde übrigens gerade vor zwei Wochen erfasst. Gibt es auch problematische Orte im Klosterdorf? Es gibt natürlich ältere Lokale, wo es nur wegen einer oder zwei Treppenstufen happert. Darum überlegen wir uns, eine Rampen-Aktion durchzuführen, um auch solche Orte besser zugänglich zu machen. Bei Orten ohne rollstuhlgängige Toiletten verzeichnen wir auch nahe gelegene öffentliche Toiletten als Alternative. Aber einmal mehr: Wir möchten die Lokale nicht bewerten, sondern nur die Situation erfassen wie sie ist. Für jemanden im Rollstuhl kann ein Treppenabsatz ein Hindernis sein, für einen sehbehinderten Menschen hingegen eine Hilfe.
«Perspektivenwechsel»; 18. Mai, 14 bis 16.30 Uhr, Hotel «Allegro», Einsiedeln. Foto: Eugen von Arb
Carmen Schuler
Jahrgang: 1987 Wohnort: Willerzell Beruf: Assistentin Marketing und Projekte Schwyz Tourismus
Hobbys: Kochen, Yoga Velofahren, Reisen