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Landammann Michael Stähli: «Wachstum sollte ein Segen sein»

Landammann Michael Stähli:  «Wachstum sollte ein Segen sein» Landammann Michael Stähli:  «Wachstum sollte ein Segen sein»

Seit 2016 ist Michael Stähli (Mitte, Lachen) als Vorsteher des Bildungsdepartements im Schwyzer Regierungsrat, die nächsten zwei Jahre steht er dem Gremium als Landammann vor. Im Interview verrät er, worauf er Wert legt und was ihn in die Politik brachte.

Worauf freuen Sie sich, wenn Sie am Montagmorgen aufstehen?

Auf die unglaubliche Vielfalt in meiner Agenda. Keine Woche ist wie die andere. Als Bildungs-, Sport- und Kulturdirektor erlebe ich per se schon eine sehr grosse Vielfalt und Bandbreite an spannungsvollen, aber interessanten Themen. Das ist ein sehr grosses Privileg. Worauf freuen Sie sich am meis-ten als Landammann? Auf weitere, neue Begegnungen und noch tiefere Einblicke in die Strukturen des Kantons. Zudem kann ich als Landammann den vielen Organisationen, Verbänden und Menschen die Wertschätzung des Kantons entgegenbringen. Eine tolle Aufgabe, die zudem sehr gewürdigt wird. Was ändert sich für Sie mit der Wahl zum Landammann? Ich werde die Sitzungen des Regierungsrates leiten und bin erste Ansprechperson, wenn es um die Vertretung des Kantons Schwyz und des Regierungsrates geht. Als Landammann unterzeichne ich zusammen mit dem Staatsschreiber sämtliche Beschlüsse der Regierung, die versendet werden. Was war in Ihrer Zeit als Regierungsrat das bisher freudigste Ereignis, und worauf hätten Sie absolut verzichten können? Das Freudigste und Eindrücklichste war sicherlich die Teilnahme des Kantons Schwyz am Sechseläuten in Zürich im vergangenen Jahr. Selten habe ich einen ganzen Tag lang so viel gelacht, Heiterkeit und positive Stimmung erlebt im Beisein von sehr vielen Repräsentanten des Kantons Schwyz. Das war wirklich ein Highlight. Verzichten können hätte ich auf persönliche Angriffe während der Coronazeit, teils gingen diese bis vor die Haustüre, ins Private hinein. Die Grenze zwischen öffentlicher Funktion und privatem Umfeld wurde überschritten. Regieren heisst entscheiden: Was war Ihr bislang schwierigster Entscheid? Die Anordnung und Umsetzung von Schutzmassnahmen an den Schulen während der Corona-phase waren sehr schwierig. Diese teils einschneidenden Massnahmen waren jedoch erforderlich, um den Schulbetrieb aufrechtzuerhalten und gleichzeitig Schüler und Lehrpersonen bestmöglich zu schützen. Was steht auf Ihrer politischen Agenda beziehungsweise des Kantons in den kommenden zwei Jahren ganz oben? Als übergeordnetes Ziel sehe ich die Stärkung des Kantons Schwyz als weiterhin attraktiven Wohn-, Wirtschafts- und Tourismuskanton und damit verbunden die stabile Ausgestaltung der finanzpolitischen Position. Hier gilt es aber natürlich auch, die Begehrlichkeiten des Parlaments einzuordnen und allenfalls etwas einzudämmen.

Wie meinen Sie das?

Eine seit Jahren steigende Ausgabefreudigkeit und eine Tendenz, Aufgaben zum Kanton hin zu verlagern. Was der Kanton einmal übernommen hat, wird er aber wohl nicht mehr abgeben können. Hier gilt es, die Balance zu wahren, auch um die Attraktivität des Kantons und dessen Gestaltungsräume zu erhalten. Inwiefern soll der Kanton attraktiv bleiben?

Wir möchten als Wohn-, Arbeitsund Tourismuskanton attraktiv sein. Die Ansiedlung von Arbeitsplätzen bleibt deshalb wichtig. Schliesslich stehen die grossen Vorhaben an, die realisiert werden sollen: zum Beispiel der Autobahnanschluss Wangen Ost, die KSA-Neubauten, die H8-Verbindung et cetera. Unsere Bürgerinnen und Bürger sollen sehen, dass im Kanton eine Entwicklung stattfindet, dass etwas geht. Ganz wichtig dabei: Die Entwicklung soll in eine lebenswerte Richtung gehen. Kürzlich postete der Kanton auf Social Media ein Fotoshooting der Regierung. Ein Kommentator schrieb dazu: «Können Sie bitte Herrn Stähli fragen, wann er endlich etwas für Lehrpersonen unternimmt?» Wie oft werden Sie auf diese Thematik angesprochen, wenn Sie unterwegs sind? Seit die Vernehmlassung zum Massnahmenpaket Mitte Mai dieses Jahres gestartet ist, werde ich fast nicht mehr darauf angesprochen. Die Leute sehen, dass wir darin gezielte Massnahmen gegen den Lehrkräftemangel vorschlagen und Lösungen aufzeigen, die dann politisch auszuhandeln sind. Polemische und unbeholfene Kommentare, wie von Ihnen erwähnt, kann man nicht verhindern. Wie erklären Sie sich den Kommentar mit negativem Unterton?

Offenbar ist es noch nicht überall angekommen, dass die Vernehmlassung läuft und der politische Prozess seine Zeit benötigt. Die Massnahmen im Schulbereich sollen wirkungsvoll, ausgewogen und parlamentarisch legitimiert sein. Schnellschüsse bringen nichts. Zudem müssen die Massnahmen breit abgestützt und nachvollziehbar sein, sonst finden sie keine Mehrheiten. Neben dem Bildungswesen haben aber auch andere Berufsbereiche mit ähnlichen Problemen zu kämpfen, etwa der Gesundheitsbereich. Wir als Regierung sind gegenüber allen Anspruchsgruppen verpflichtet und nehmen unsere Rolle entsprechend ernst.

Sie sind Lachner. Wie haben sich seit Ihrer Jugend Ihr Wohnort und der Kanton allgemein entwickelt? Es gab ein enormes Wachstum, eine Verdichtung der Lebensräume, der bebauten wie auch der Natur. Damit verbunden sind heute mehr Hektik und Druck zu spüren. Daher erfolgt eine derart dynamische Entwicklung nicht ohne Begleiterscheinungen wie eine gewisse Anonymisierung der Gesellschaft, ein Massstabsprung in den Dörfern, mehr Verkehr und generell mehr Druck, mehr Stress – mehr von allem. Welche grösste Herausforderung sehen Sie für den Kanton Schwyz? Ein qualitatives Wachstum. Wachstum brauchen wir, aber es muss qualitativ sein. Qualitativ ist es, wenn das Ergebnis noch lebenswert ist. Hier gibt es einen Kipppunkt. Wenn die Leute nur noch im Stau stehen, wir nur noch voluminöse Luxuswohnungen haben et cetera, dann ist der Punkt erreicht. Es darf nicht sein, dass die angestammte Bevölkerung gedrängt wird, über die Kantonsgrenzen weiterzuziehen, weil es nicht mehr bezahlbar ist, hier zu leben, nicht mehr attraktiv, nicht mehr lebenswert. Dann wird Wachstum zum Fluch, es sollte aber ein Segen sein. Wann war für Sie klar, dass Sie sich politisch engagieren wollen?

Das war ein Hineinwachsen. Ich bin in einem politischen Umfeld, einer politischen Familie aufgewachsen. Es war noch die Zeit, als um 12.30 Uhr Ruhe war am Tisch, weil man die Nachrichten hörte. Danach diskutierte man die Themen. Ich absolvierte Mitte der 1990er-Jahre das Abendtechnikum in Zürich. Als ich es abschloss, fragte mich Maria Stählin selig, ob ich in der damaligen CVP Lachen nicht das Amt des Aktuars übernehmen wolle. Ich sagte zu, auch um mich mit der Wiedererlangung von freien Abenden quasi wieder in Lachen zu resozialisieren. Das war mein Einstieg. Dann wurde ich Ortsparteipräsident, Mitglied in diversen Gemeinde-Kommissionen, Kantonsrat für die Gemeinde Lachen et cetera. Ich erlebte direkt, wie die Politik funktioniert und was man dazu beitragen kann, dass etwas entsteht. Eine andere Partei wäre für Sie nicht infrage gekommen? Nein, mein familiäres Umfeld war klar CVP-orientiert, katholisch- konservativ. Das Spirituelle hat mir nie etwas ausgemacht. Die christliche Grundhaltung ist nach wie vor prägend für mich. Hand aufs Herz: Nervt es Sie ab und zu, wenn man Sie in Ihrer Freizeit auf politische Themen anspricht? Nein. Als Regierungsrat ist man eine Person von öffentlichem Interesse und hat keine private Zone, ausser daheim. Sobald ich das Haus verlasse, bin ich Regierungsrat, egal ob Samstag, Sonntag oder Montag, Ferien oder nicht.

Ist das nicht mühsam?

Ich habe mich daran gewöhnt und schätze den Kontakt mit den Bürgerinnen und Bürgern, sehe ihn als Chance. Ich signalisiere immer, dass man auf mich zukommen kann, weil ich es schätze, mit Leuten in Kontakt zu kommen. Dadurch erhalte ich viele Informationen, die ich sonst nicht hätte und die ich sehr schätze. Bürgernähe ist typisch für den Kanton Schwyz. Sie sorgt dafür, dass man die Bodenhaftung behält und Positives wie Negatives direkt vernimmt. Hier kann ich im direkten Gespräch oft vieles richtigstellen, präzisieren und so weiter. Aber klar, am Ende der Woche bin ich auch froh, wenn ich daheim in Ruhe etwas lesen kann oder im Garten bin, ohne immer parat sein zu müssen.

Ein Beispiel?

Als ich vor Jahren nach einer intensiven Arbeitswoche im Bahnhof Arth-Goldau ausstieg, die Anspannung abfiel und ich bei verkehrsfreier Phase über die Strasse ging, rief mir jemand von irgendwoher zu: «Auch Regierungsräte können über den Zebrastreifen gehen!» Das war so ein Moment, der mich bestätigte: Du musst als Regierungsrat bis zu dem Moment, wenn die Haustür hinter dir zufällt, korrekt sein. Das ist der Anspruch, den ich habe: Draussen bin ich Regierungsrat, Tag und Nacht. Ich will es korrekt machen, glaubwürdig, reflektiert. Was sind Ihre Grundwerte, die Sie für nichts aufgeben werden?

Aufrichtigkeit, Verlässlichkeit, Respekt und Empathie. Ein Wechsel des Departements war kein Thema? Nein. Die politischen Prozesse sind so ausgestaltet, dass eine gewisse Zeit erforderlich ist, bis etwas umgesetzt ist. Vorlage, Vernehmlassung, Debatte im Parlament, allenfalls Referendum, Urnenabstimmungen et cetera. Acht, zehn Jahre sind extrem schnell vorbei. Das Bildungssystem ist zudem speziell träge, weil sehr viele Akteure mitwirken und Kompetenzregelungen und Abhängigkeiten zu beachten sind. Mein Anspruch ist es, Kontinuität und Verlässlichkeit zu gewährleisten. Was ärgert Sie aktuell am meis-ten?

Was mich generell ärgert, ist eine gewisse Gleichgültigkeit in der Gesellschaft. Das hat auch mit politischer Abstinenz zu tun, was man bei Wahlen und Abstimmungen sieht. Die Beteiligung ist meist sehr gering. Dabei ha-ben wir ein unglaubliches Privileg. Wir können über Sachfragen abstimmen, die Regierung wählen oder nicht mehr wählen. Viele lässt das kalt, teils auch, weil man nicht mehr nachvollziehen kann, was Politik macht. Hier muss es uns gelingen, die Leute wieder zu erreichen. Das Sprichwort von Stanislaw Jerzy Lec bringt es auf den Punkt: «Es genügt nicht, dass man zur Sache spricht. Man muss zu den Menschen sprechen.» Wie wollen Sie gegen diese Gleichgültigkeit ankommen? Es braucht wieder eine gute Gesprächskultur, Dialogkultur, Debattenkultur, eine Zusammenarbeitskultur. Das schafft die Basis, um die Leute besser zu erreichen. Wie schalten Sie ab und wo verbringen Sie Ihre Sommerferien? Als Erstes steht jetzt die Landammannfeier in meiner Wohngemeinde Lachen im Fokus, auf die ich mich sehr freue. Danach werden meine Frau und ich ein paar Tage Ruhe haben. Wir werden in Locarno an mehreren Abenden Konzerte besuchen und die kulturelle Atmosphäre geniessen. Darauf freuen wir uns sehr. Die restliche Zeit werden wir daheim verbringen, in der Natur unseres wunderbaren Kantons, wo ich Erholung finde.

Was möchten Sie in Ihrem Leben unbedingt noch erreichen?

Ich bin bisher sehr gut damit gefahren, dass ich keine star-re Planung hatte. Ich hatte nie das vorbestimmte Ziel, in die Regierung zu gehen. Politische Planungen zu machen ist gewagt und oft nicht zielführend. Weil mich mein bisheriger Lebensweg an einen grossartigen Punkt geführt hat, bin ich zuversichtlich, dass die weiteren Lebensphasen wiederum positiv verlaufen werden.

Foto: Eugen von Arb

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