Veröffentlicht am

Wenn vier Organisten zaubern

Wenn vier Organisten zaubern Wenn vier Organisten zaubern

Spezialausgabe der Kolumne «Nachklang» zur Orgelnacht am Dienstag, 30. Juli

Die Einsiedler Orgelnacht ist Geschichte. Die vier Organisten – Pater Philipp Meier (Maria Laach), Pater Landelin Fuss (Beuron), Bruder Jonas Hilger ((Maria Laach) und «unser » Pater Theo Flury (Einsiedeln) luden ein zu diesem grossen Konzert. Und eines vorweg: Alle drei Klöster verfügen über exzellente (Mönchs)Organisten. Was die Vier an diesem Abend einem in erfreulich grosser Anzahl aufmarschierten Publikum boten, war Extraklasse.

Pater Theo als Gastgeber begrüsste in der angenehm kühlen Kirche das zahlreiche Publikum, machte auf die Pause aufmerksam. Doch jetzt der Reihe nach.

Pater Philipp Meyer eröffnet das Konzert am Feierabend mit Edward Elgars «Enigma-Variationen », die ruhig und getragen daherkommen. Die Töne fügen sich weich ineinander, harmonisch und ohne Ecken. Man fühlt sich sofort wohl, ein guter Einstieg in den doch langen Abend.

Guilmants «Première sonate » erschreckt mit einem fulminanten, abrupten Beginn. Dann wird es hymnisch, in den choralhaften Themen findet man sich schnell zurecht. Die Wucht der Orgel scheint immer wieder auf. Doch leise, ferne Töne lassen einen genau hinhören – und träumen. Der Abschluss ist ein total übermütig über Felsgestein zu Tal donnerndes, tosendes Gewässer, das unten angelangt, zerfällt. Ein quicklebendiges Stück, ein eindrücklicher Schluss. Es ist ein wundervolles Stück der französischen Romantik. Der Organist bringt die Farben und Texturen grossartig zum Ausdruck.

Pater Landelin Fuss beginnt seinen Part mit John Cook’s «Fanfare». Das Stück war mir nicht bekannt, wird wohl auch selten gespielt. Mit Fanfarentönen verbinde ich Musik von hohen Mauern herunter, hart absetzend. Dieses Harte, Absetzende, fehlte mir etwas, obwohl diese Fanfaren immer wieder Kontraste hervorbrachten.

Sweelincks «Fantasie auf die Manier eines Echos »liess mich zurücklehnen und geniessen. Das Thema, im reizvollen Echo nachgezogen, bewirkte, dass Träume aus der Erinnerung aufzogen. Räume entstanden, durch die Feen leicht ins Nichts entschwebten.

Bach’s «Toccata, Adagio und Fuge in C-Dur» war beeindruckend. Der Einstieg ist spektakulär. Das Pedal-Solo markiert machtvolles Schreiten. Das Adagio in seiner harmonischen Dichte tröstend. Die Putten an der Kanzel strahlten wieder ihre Ruhe aus. Die Fuge kam dann wieder machtvoll daher. Eine unglaubliche Fülle an Tönen überfiel mich. Diese Klangviertelstunde war eine akustische Herausforderung.

Viernes «Berceuse» erreichte mein Herz warm. Es war ein schlichtes Stück. Ich staunte nachher, dass er dieses Wiegenlied, das er seiner kleinen Tochter, die eigentlich gar nicht seine Tochter war, so innig, so zärtlich rüberbringen konnte. Das daran anschliessende «Carillon de Longpont» kam unter dem Eindruck des durch den Tod im Ersten Weltkrieg gefallenen Bruders erschütternd, laut und anklagend da-her. Es war ein schmerzvolles Abschiednehmen – trotz kurzer Beruhigung im Mittelteil.

Nun ging es in die Konzertpause. Man konnte sich verpflegen und sich auch mal durchstrecken. Was besonders dem Hinterteil gut tat.

Mit Rheinberger’s «Sonate in E-Moll» eröffnete Bruder Jonas Hilger den zweiten Teil des Konzertabends. Im nun halbdunklen Raum (21 Uhr) war das ein furchteinflössender, lauter, aggressiver Beginn. Der Komponist liess mich nie zur Ruhe kommen. Ich sehe einen eisenbereiften Wagenzug, von Pferden gezogen und von den Kutschern mit Peitschenknall energisch im Zaum gehalten. Zuhinterst folgt ein düsterer, schwarzer Leichenwagen. Der Himmel ist wolkenverhangen. Häuser brennen links und rechts der Strasse, niemand bekümmerts. Eine geisterhafte, unwirkliche Szenerie. Grossartig gespielt, der Organist durchläuft virtuose Klangwelten.

Die «Vier biblischen Tänze» von Peter Ebn haben sich mir nur schwer erschlossen. Eine freudige Einladung spürte ich nicht, zu komplex kam sie da-her. Das Zwischenspiel leitet über in den von «Trompeten» gespielten Hochzeitsmarsch. Der Schluss war ein eigenartiger Tanz. Ich war froh, dieses Stück hinter mir zu haben.

Nun war es am «eigenen» Stiftsorganisten, an Pater Theo Flury, das Publikum «zu holen». Widor’s «Symphonie Nr. 6» und die «Symphonie gothique» waren Poesie in reiner Form. Die Spannung wurde gehalten durch lange ausgehaltene Töne, die harmonisch, silbern klangen. Gespannt war ich auf Bach’s «Fantasie in g-Moll», und zwar gespannt deswegen, weil ich Bach besonders geniessen kann, wenn er «flurymässig » daher kommt, nicht streng notenmässig. Und die-ser Bach war ein Erlebnis. Nur schon dieser monumentale Beginn. Für mich ein Bach bester Ausprägung. Hier warf ein Maler Tausend Farben an die Leinwand! Dieses tonale Gemälde sprengte alles. Ein einmaliges Hörerlebnis, das Pater Theo da ausbreitete. Mahlers «Symphonie Nr. 5» kam melancholisch daher. Im Gegenlicht sehe ich eine Unbekannte hinter einer zerfallenen Mauer. Eine Unbekannte, die ich eigentlich kennen müsste, doch der Weichzeichner verhindert das. Ich möchte sie bei der Hand nehmen. Sie neigt sich mir entgegen – und zieht sich zurück. Die sorgfältige, behutsame Tonsetzung lässt mich nachdenklich im Stück zurück. Was wäre ein Konzertabschluss ohne «Widor»! Er ist «natürlich» imposant, gewaltig, ausholend. Stete Abwechslung ist Gebot. Pater Theo kann sich austoben, wunderbar, ganz «der Flury», wie man ihn liebt! Da drin möchte man ewig verweilen. Und es ist ein schillernder Abschluss einer grossen Orgel-Nacht.

Das Publikum dankte den vier Organisten am Schluss mit einer langen Standing Ovation. Und die hatten sie sich so was von verdient. Dankbar ging man in die Nacht hinaus, noch durchflutet von der Tonvielfalt Paul Jud

Share
LATEST NEWS