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«Bi mi ase no kä Momänt gruuä»

«Bi mi ase no kä Momänt gruuä» «Bi mi ase no kä Momänt gruuä»

Matthias Oechslin ist seit 2020 Wildhüter des Wildhutkreises III (Bezirk Einsiedeln, Gemeinden Alpthal, Oberiberg, Unteriberg, Feusisberg südlich Sihl). An seinem Job gefällt ihm die Arbeit in der Natur, die Selbstständigkeit, die Abwechslung und die Wertschätzung der Leute.

Es ist kurz vor sechs Uhr am Morgen. Matthias Oechslin steigt gutgelaunt in seinen Toyota Land Cruiser und macht sich auf den Weg dem Fluebrig zu. Das geländegängige Auto ist bepackt bis obenhin. Zur Ausrüstung des Einsiedler Wildhüters gehören nebst einer Hundebox verschiedene Waffen, ein Analyseset für DNA-Proben, Wildkameras, ein Nachtsichtgerät, Feldstecher, Stativ und Spektiv für die Beobachtung von Wildtieren, ein Hunde-GPS, Laptop, Ersatzkleider, eine Notfallapotheke und natürlich genügend Verpflegung für sich und seinen Hund Hachiko. «Das Auto muss immer parat sein für Einsätze, auch nachts», erklärt Matthias Oechslin, der auch ausserhalb seiner normalen Arbeitszeit Pikett-Einsätze leistet. Was er an diesem Vormittag für seinen Diensteinsatz im unwegsamen Gelände braucht, trägt er im Rucksack mit sich. Am Fuss des Fluebrigs angekommen hat Jagdhund Hachiko, genannt «Hatschi», die Nase bereits im Wind und drängt an der Leine vorwärts in den Wald. Der Wildhüter sowie die Berichterstatterin des EA samt ihrem eigenen Hund folgen ihm.

Es ist ein normaler Arbeitsbeginn für Matthias Oechslin, die frühen Morgenstunden sind ihm die liebste Tageszeit. Aber abgesehen von der üblichen Tagwache gleicht kein Arbeitstag dem anderen, weil die Arbeit als Wildhüter saison- und wetterabhängig ist. «Ich kann die Zeit selbst einteilen, meistens plane ich meine Tätigkeiten halbtageweise », beschreibt er seine Arbeitsmethode. Die Arbeit in der Natur und die Bürozeiten halten sich übers Jahr etwa die Waage, im Sommer ist er mehr draussen als im Winter.

Gämsen zählen

An diesem Morgen Mitte Juli steht als erstes eine routinemässige Zählung der Gämsen in einem bestimmten Gebiet an. Nach einer knappen Stunde Wegs den Berg hinauf, quer durchs Unterholz, über verwachsene Rinnsale, Schutt und totes Holz, ist das Ziel erreicht. Bei einer Hütte in einer breiten Waldschneise packt Matthias Oechslin den Feldstecher aus und sucht die steile Fluebrig-Flanke nach Gämsen ab. Nach wenigen Augenblicken hat er mit geübtem Blick die ersten Tiere entdeckt, eine Geiss mit ihrem Kitz. Rasch ist auch das Spektiv aufgestellt, ein spezielles Beobachtungsfernrohr, das die Tiere noch näher heranzoomt. Weitere Gämsen tauchen auf, ziehen über die steilen Weiden und ziehen sich mit der zunehmenden Wärme langsam in schattigere Zonen zurück.

Matthias Oechslin notiert sich die Anzahl Tiere und weitere Beobachtungen auf einem Blatt Papier. Seine Aufzeichnungen wird er später im Büro digital erfassen. Die Beobachtung dauert jeweils etwa eine Stunde. «Die Zählung ist nicht viel wert, wenn man nur kurz schaut, zählt und wieder geht, die Tiere kommen und gehen, man muss sich schon Zeit nehmen», erklärt der Wildhüter. Zur rechten Zeit am rechten Ort Während den Beobachtungen bleibt Musse zum Plaudern. Matthias Oechslin erzählt seinen Werdegang von der Kindheit im «Lädäli» in Bennau über die Zimmermannslehre bis zum Wildhüter. Der heute Fünfzigjährige hat sich an der Handelsschule zum Verkaufsleiter weitergebildet und war bis 2020 im Verkauf tätig. 2017 legte er die Jagdprüfung ab, nachdem ihn ein ehemaliger Chef ein paar Jahre zuvor für das Jagdwesen begeistern konnte. Das Jagdpatent ist eine Grundvoraussetzung für die Tätigkeit als Wildhüter. Die Faszination für die Natur und die Wildtiere, aber auch für die Jagd und für Jagdwaffen weckten in ihm den Traum, Wildhüter seiner Heimatregion zu werden. Die Gelegenheit dazu bot sich vor vier Jahren mit dem Rücktritt des damaligen Wildhüters Roger Bisig. Matthias Oechslin bewarb sich und erhielt den Zuschlag unter 29 Mitbewerbern: «Ich war zur rechten Zeit am rechten Ort, brachte die richtigen Voraussetzungen mit und kannte die richtigen Leute – ich hatte einfach Glück.» Am 1. August 2020, in der Nacht um Viertel nach zwei, trat er seinen Dienst an.

Mittlerweile ist es etwa acht Uhr. Weiter geht die Tour über Moorwiesen und farnbewachsene Haine quer durch den Wald. Matthias Oechslin hat eine Stelle im Kopf, die sich für die Montage von Wildkameras eignet und findet in der Wildnis zielsicher hin. Kaum angekommen, klingelt das Handy: Eine Privatperson braucht den Rat des Wildhüters. Auch das gehört zu seinem Jobprofil, egal in welchem Urwald er sich gerade befindet. Social Skills werden immer wichtiger Nach diesem Telefongespräch und während er mit sicheren Griffen zwei Wildkameras montiert, erzählt er von einem wichtigen Aspekt seiner Funktion als Wildhüter: dem Umgang mit Menschen. Ansprechperson zu sein, liegt ihm. Seine Ausbildung als Verkaufsleiter ist ihm denn auch als Wildhüter von Vorteil: «Ich muss den Leuten die Anliegen der Wildhut ‹verkaufen› können, dazu braucht es oft Fingerspitzengefühl und diplomatische Beharrlichkeit.» Er ist überzeugt, dass die Kompetenzen im zwischenmenschlichen Bereich, die so genannten Social Skills, in seinem Beruf immer wichtiger werden: «Konflikte tragen wir mit den Menschen aus, nicht mit den Wildtieren.» Die Kommunikation mit Freizeitveranstaltern ist ebenso wichtig wie die Gespräche mit den Bauern und Förstern. Ein Wildhüter ist neben seiner Tätigkeit in den Lebensräumen Feld, Gewässer, Wald, Siedlung und Gebirge auch ein Vermittler zwischen all jenen, die in und mit der Natur leben und arbeiten: «Den gesellschaft-lichen Wandel können wir nicht beeinflussen, aber als Wildhüter müssen wir schauen, dass wir die Lebensräume, für die wir verantwortlich sind, beruhigen können. » Um zehn Uhr gibt es eine gemütliche Znünipause. Die Aufgaben, die sich Matthias Oechslin für diesen Vormittag vorgenommen hat, sind erfolgreich erledigt. Danach gehts auf der Waldstrasse hinunter Richtung Studen, begleitet von vielen Erläuterungen zu Flora und Fauna und philosophischen Betrachtungen zum Umgang mit der Natur. Auf halbem Weg sind Forstarbeiter im Tobel neben dem Wanderweg am Holzen. Der Wildhüter spricht einen der Arbeiter an und fachsimpelt eine Weile mit ihm. Nach einem gemeinsamen «Schnupf» gehts weiter. Die Gelegenheit für spontane Gespräche unterwegs lässt sich Matthias Oechslin nicht entgehen und meint dazu: «Socializing schafft Vertrauen.» Punkt Zwölf Uhr ist das Auto erreicht. Kranker Fuchs, Besprechung, Fährtenarbeit Zum Mittagessen fährt Matthias Oechslin nach Hause im Gross-morgen, wo er mit seiner Frau Regula Braun und den vier Kindern lebt. Am Nachmittag wird er zu einem kranken Fuchs gerufen, den er erlösen muss. Bis zum Feierabend nimmt er an einer Besprechung teil und erledigt administrative Arbeiten in seinem Büro an der Zürichstrasse. Nach dem Nachtessen widmet er seinem treuen Begleiter Hachiko gemeinsame Zeit: Er hat für den jagdlich ausgebildeten Kleinen Münsterländer tags zuvor eine Übungsfährte ausgelegt, die der Hund zum Tagesausklang mit Eifer ausarbeitet. Auch dies gehört zum Arbeitsalltag des Einsiedler Wildhüters, der aus Überzeugung sagt: «Bi mi ase no kä Momänt gruuä.»


9 Uhr: Matthias Oechslin montiert Wildkameras.

11.15 Uhr: Für einen Schwatz mit dem Forstarbeiter ist immer Zeit.

6 Uhr: Auf gehts in den Wald mit Jagdhund Hachiko (r.) und dem Entlebucher Sennenhund Valeria als Gast.

Büroarbeit um 16.45 Uhr: Die Geweihe stammen von notfallmässig erlegten Hirschen.

Der Feierabend gehört dem Kleinen Münsterländer Hachiko.

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