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«Ich glaube an die Zukunft von Einsiedeln»

«Ich glaube an die Zukunft  von Einsiedeln» «Ich glaube an die Zukunft  von Einsiedeln»

Der 56-jährige Abt Urban Federer möchte Einsiedeln als einen Ort religiöser Begegnung stärken und schildert die Entwicklung der benediktinischen Klostergemeinschaft: «Das Kloster als Glaubensund Lebensgemeinschaft ist gut unterwegs.»

«Der Christ der Zukunft wird ein Mystiker sein – oder er wird nicht sein», sagte der Theologe Karl Rahner im Jahr 1966. Was bedeutet dieser Satz im Jahr 2024? Diese Aussage hat nichts von ihrer Bedeutung eingebüsst und ist nach wie vor relevant. Mystik spielt auch hier im Klosterdorf eine wesentliche Rolle: Einsiedeln ist ein Ort der religiösen Erfahrungen, an dem wertvolle Begegnungen möglich sind und der Glauben als Beziehungsgeschehen gelebt wird. Solche Erfahrungen kommen auch im Pilgerwesen zum Ausdruck, in dem es um das Unterwegssein geht und darum, gemeinsam einen Abschnitt eines Lebensweges zu teilen. Mir selbst ist die Mystik ein grosses Anliegen: Ich schrieb eine Dissertation über mystische Erfahrung im literarischen Dialog – die Arbeit behandelt den geistigen Austausch zwischen dem Priester Heinrich von Nördlingen und der Dominikanerin Margaretha Ebner im 14. Jahrhundert. Im Estrich des Klosters Einsiedeln sind Schriften von Silja Walter entdeckt worden. Können Sie die Bedeutung dieses Schatzes abschätzen? Silja Walter hat es geschafft, in ihren wiedergefundenen Schriften das monastische Alltagsleben im Kloster Fahr mit der Benediktregel und dem Zweiten Vatikanischen Konzil zu verbinden – im Austausch mit Abt Raymund Tschudi. In ihren Briefen kommt zum Ausdruck, wie Silja Walter die Kirche wahrnimmt und wie sie nach dem Sinn des Lebens sucht und Impulse für ihre Zeit gibt. Sie knüpft dabei an die mystische Tradition an, die seit dem Mittelalter überaus bedeutsam für die Kirche ist: Mystik meint Beziehung, und Gott ist dabei ein Du. Für Silja Walter hat die Sehnsucht nach dem Göttlichen in der Metapher des Tanzes Gestalt angenommen: Der Tanz ist für sie eine andere Form der Anbetung, bei der es immerzu um die Verbindung zwischen Gott und dem Menschen geht. Wie entwickelt sich das Kloster Einsiedeln als Glaubens- und Lebensgemeinschaft?

Das Kloster als Glaubens- und Lebensgemeinschaft ist gut unterwegs – wir sind 38 Mönche: Ich freue mich, mit diesen in die Zukunft zu gehen. Die Quantität ist für die Entwicklung der Klostergemeinschaft dabei weniger wichtig – wesentlicher ist die Integrationsfähigkeit beim Nachwuchs. Wir möchten Einsiedeln als einen Ort religiöser Begegnung stärken, Erfahrungen von Gemeinschaft vermitteln und ein Mitleben auf Zeit im Kloster Einsiedeln möglich machen (Sommerkloster, Klosterzeit). Wir wollen bei unseren Angeboten auf Augenhöhe mit den Menschen kommunizieren – nicht von einer Deutungshoheit aus, die wir nicht mehr haben: Nicht zuletzt auch wegen den Missbrauchsfällen ist es zu einem Vertrauensverlust der Kirche gekommen, die uns die mystische Tradition der Kirche wieder vermehrt leben lässt. Werden Sie im kommenden Jahr Ihre Amtszeit als Abt um weitere zwölf Jahre verlängern? Im Zentrum steht die Frage, was die Klostergemeinschaft braucht und was für sie im Interesse stehen mag: Antworten auf diese Frage bestimmen die Frage nach meiner Nachfolge im nächsten Jahr. Die Möglichkeiten sind mannigfach: Die Gemeinschaft kann einen neuen Abt zum Vorsteher des Klosters wählen, so wie dies 2013 der Fall war, als Abt Martin Werlen nach zwölf Jahren im Amt nicht mehr zur Verfügung stand. Weiter kann die Amtszeit eines Abtes auf Lebenszeit (bis er 75 Jahre alt ist) oder um eine bestimmte Zeit verlängert werden.

Welche Projekte stehen im Kloster Einsiedeln an? Ich glaube an Einsiedeln und an den Wallfahrtsort Einsiedeln. Deswegen wollen wir hier investieren und eine Aufwertung der Umgebung vornehmen: Da sind auch kleine Projekte wie das Wildbienenparadies mit dabei, das dank einer Initiative aus dem Dorf entstanden ist. Hinzu kommt eine nähere Anbindung des Marstall-Betriebs zum Empfang der Menschen im Kloster: Wir wollen im Pferdebereich einen Ort der Begegnung schaffen und auf ein Gesamterlebnis hinarbeiten. Die Aufwertung des Gästebereichs zeigt bereits Fortschritte: So konnte zum Beispiel das Angebot für die Besucherinnen und Besucher des Einsiedler Welttheaters ausgebaut werden. Auch der Weinkeller und der Klosterladen tragen zu einem wertvollen Empfang der Menschen bei.

In welchen Bereichen haben sich Fortschritte ergeben?

Wir Benediktiner pflegen eine reiche Tradition der Gastfreundschaft: Menschen zu empfangen heisst auch Menschen zu bewirten. Die Gastwirtschaft im Abteihof des Klosters Einsiedeln im Sommer ist denn nicht mehr wegzudenken. Hinzu kommt die Aufwertung der Aktivitäten in der Musik – sowohl im sakralen wie im weltlichen Bereich, ebenso bei den Formationen: Die Musik verfügt über eine überregionale Ausstrahlung. Es ist uns gelungen, die Musik regional einzubetten. Auch die «art ufnau» ist gut angelaufen, und das neue «Salve» kommt frisch und umfassend neu gestaltet daher. Die Propstei Sankt Gerold in Vorarlberg wird unter der Leitung von Pater Martin als eine überaus lebendige und kreative kirchliche Begegnungs- und Bildungsstätte weitergeführt. Bezüglich unserer Wallfahrt werden neue Führungen angeboten. Überdies wird der Film «Bruder Meinrad – Ein Leben für die Ewigkeit» produziert, der rechtzeitig auf das Jubiläumsjahr zum 100. Todestag von Meinrad Eugster realisiert wird. Und schliesslich sind wir auch mit der Stiftsschule auf Kurs: Sie wächst beständig, und ihre Führung ist mit einem Schulrat verstärkt worden. Wie sehen Sie die Perspektiven im Frauenkloster Au? Das Kloster in der Au in Trachslau gehört der Schweizerischen Benediktinerinnenföderation an. Die Schwestern sind vollends selbstständig, das Kloster gehört kirchen- wie zivilrechtlich den Benediktinerinnen. Es ist nicht zu vergleichen mit dem Benediktinerinnenkloster Fahr, das seit seiner Gründung im Jahr 1130 zur Abtei Einsiedeln gehört. Die Verantwortung für die Gemeinschaft und das Haus liegt also bei der Gemeinschaft des Klosters Au. Gerne stehe ich den Schwestern tatkräftig bei in der Frage um ihre Zukunft, wenn sie dies wünschen. Unterdessen gibt es mehr konfessionslose Menschen als Katholiken in der Schweiz. Verdunstet die Religion hierzulande?

Was in erster Linie verdunstet, ist eine institutionelle Anbindung der Menschen in der heutigen Gesellschaft. Diese Krise der Institutionen betrifft ja nicht nur die Kirchen, sondern auch die Vereine, Verbände, Organisationen und Gemeinschaften. Die Institutionen befinden sich in einem Auflösungsprozess. Ich glaube hingegen, dass der Mensch immer noch wie früher einen Sinn im Leben sucht, dass sein Wesen religiös und spirituell ausgerichtet ist und bleibt. Der Mensch stellt Fragen über den Sinn des Lebens – und das sind auch Fragen der Religion. Wundersam, wenn solche Fragen just dieses Jahr auf dem Klosterplatz in Einsiedeln gestellt werden: Das Welttheater bringt religiöse Themen aufs Tapet, ohne sie so zu benennen. Wohin bewegt sich die Welt?

Aufgrund der kriegerischen Auseinandersetzungen hier auf Erden suche ich den Frieden und setze mich ein für die Bewahrung der Schöpfung. Mit Dankbarkeit schaue ich zurück auf die ökumenische Einsiedler Friedenswallfahrt im Juli, an der viele Menschen mit der Friedensbotschaft von Bruder Klaus gepilgert sind. Gleichzeitig ist die Vereinsamung der Menschen ein grosses Thema in unserer Gesellschaft und auf der Welt: Bereits ist von einer «Einsamkeitspandemie» die Rede, Fragen nach der Identität kommen auf. Grossbritannien hat ein Ministerium für Einsamkeit ins Leben gerufen. In Deutschland hat die Regierung eine Strategie gegen Einsamkeit beschlossen. Vielleicht ergeht es der Welt am Schluss wie der Welt am Einsiedler Welttheater: Wir schaffen es nur, wenn alle – vor allem auch die Jungen – gemeinsam spielen wollen. Und ganz zum Schluss geht im Stück der Mond auf, der nur scheinen kann, weil er von der Sonne bestrahlt wird. Für mich ist dies ein Bild dafür, dass wir diese Welt bespielen können, solange sie von der göttlichen Gnade beleuchtet wird.

Foto: Magnus Leibundgut

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