«Ich habe das Steuer des Betriebs an die nächste Generation übergeben»
Heinz Leuthold, Verwaltungsratspräsident der Leuthold Mechanik AG, steht Red und Antwort über ein halbes Jahrhundert HLM und über die Geschichte und die Werte, welche die Leuthold Mechanik AG seit fünfzig Jahren prägen.
Wie kam es vor fünfzig Jahren zur Gründung der HLM?
Das war ein langsamer, aber steter Weg. Mein Vater, der Ingenieur war, schenkte mir auf den 19. Geburtstag eine Drehbank – auf dass ich keineswegs auf der Strasse rumlungere und mich stattdessen Sinnvollem widme (lacht). Alles fing also schliesslich damit an, dass ich, damals noch in meiner Ausbildung zum Werkzeugmacher, nach Feierabend im väterlichen Keller Spezialteile für die Maschinenindustrie entwickelte und selbst anfertigte. Nach fünf Jahren des kontinuierlichen Fortschritts machte ich mich selbstständig, um die erhöhte Nachfrage nach meinen Produkten decken zu können. Zu dieser Zeit erfolgte auch die Spezialisierung auf die Aluminiumverpackungsindustrie.
Was hat Sie ausgerechnet nach Einsiedeln ins Klosterdorf verschlagen?
Ich absolvierte meine Werkzeugmacher- Lehre Anfang der 70er-Jahre bei Landis+Gyr in Einsiedeln. Von daher war mir das Klosterdorf wohl vertraut: Ich kannte viele Leute in Einsiedeln und ging auch gerne dort in den Ausgang. Weil wir immer mehr Platz brauchten, um produzieren zu können, wurde es uns in Samstagern mit der Zeit zu eng. Um expandieren zu können, suchten wir neue Räumlichkeiten: Ein idealer Glücksfall hat sich ergeben, als aufgrund der Schliessung der Möbelfabrik Zehnder in Einsiedeln eine Industriebrache entstanden ist, auf der wir unsere Produktion hochfahren konnten. Vor fünfzig Jahren brach die Erdölkrise aus. Wie ging Ihr junges Unternehmen mit der Energiekrise um? Die damalige Ölkrise hat mich nicht getroffen, weil ich damals als Konstrukteur gearbeitet habe und parallel dazu meine eigene Firma während vier Jahren quasi ferngesteuert habe, nachdem ich mit zwanzig Jahren nach der Lehre meinen ersten Mitarbeiter angestellt hatte. In den 90er-Jahren herrschte Rezession und Stagnation. Die Industrie verlagerte reihenweise Arbeitsplätze ins Ausland. Viele sind arbeitslos geworden. Mussten Sie damals Mitarbeiter entlassen oder Kurzarbeit einführen? Wir haben in diesem halben Jahrhundert keine Problemjahre gekannt und sind die meiste Zeit komfortabel über die Runden gekommen, ohne eine grössere Krise erleben zu müssen. So haben wir aus wirtschaftlichen Gründen nie jemals Mitarbeiter entlassen. Auch Kurzarbeit mussten wir zu keiner Zeit einführen. Haben Sie in den Nullerjahren Ihren Betrieb fortlaufend digitalisiert?
Wir haben immerzu versucht, mit der fortschreitenden Digitalisierung Schritt zu halten. So war es uns ein Anliegen, unsere Elektronische Datenverarbeitung auf Vordermann zu bringen. Naturgemäss musste hierbei auch in den Betrieb investiert werden: Ich habe stets Geld eher in die wirtschaftliche Entwicklung des Unternehmens gesteckt als es für private Zwecke zu verwenden. Auch Dividenden auszuzahlen war mir fremd. Seit dem Jahr 2012 produziert HLM mit rund 175 Beschäftigten am Standort Einsiedeln für Kunden aus der ganzen Welt. Wie kam es dazu? Die HLM ist kontinuierlich gewachsen. Aus der kleinen mechanischen Werkstätte im Jahr 1974 wurde ein Unternehmen mit weltweiten Verbindungen. In diesem Wachstumsprozess ha-ben uns drei Grundsätze begleitet, denen wir auch in Zukunft folgen werden: Ein hoher qualitativer Anspruch entlang der gesamten Fertigungskette, die direkte Kommunikation mit dem Kunden und individuelle, passende Lösungen. Neueste Technologien, Verfahren und Fertigungsanlagen kombiniert mit spezialisierter, jahrelanger Expertise garantieren dem Kunden höchste Qualität und Zuverlässigkeit. Wir legen grossen Wert auf permanente Forschung und Weiterentwicklung, um unsere Maschinen kontinuierlich zu verbessern, den Wünschen der Kunden gerecht zu werden und der Konkurrenz technologisch immer ein Stück voraus zu sein. Überdies ist es uns ein Anliegen, eine ganzheitliche Entwicklung des Unternehmens anzustreben. Wie sind Sie auf die Idee gekommen, das Silo in Einsiedeln zu bauen, diesen bemerkenswerten Bau, der sich wohltuend abhebt im Klosterdorf? Früher wurde im Silo Sägemehl der Schreinerei gelagert. Dann entstand die Idee, aus dem Silo eine Kantine zu machen. Als Vorbild diente uns hierbei ein Bau von Red Bull in Salzburg. Dass dieses «Gastro-Silo» unterdessen zu einem Wahrzeichen im Klosterdorf geworden ist, freut mich sehr. Das Silo an der Zürichstrasse bietet Raum für ein Panorama-Restaurant, eine Terrasse, eine Bar mit Smoker-Lounge, eine Küche, ein Foyer mit Ausstellungsräumen und eine Kantine. Das Silo soll als Magnet Touristen und Betriebe gleichermassen anziehen. Es ging uns durchaus auch darum, Aufmerksamkeit zu markieren: Wir sind da! Auf dass die Welt über Einsiedeln reden möge. Auf drei Geschossen entstehen derzeit Produktionsstätten, Büros und Studios. Was soll konkret in diesen Räumen untergebracht werden?
Auf dem obersten Geschoss auf einer Fläche von 3500 Quadratmetern wird Unternehmen, mit denen Synergien genutzt werden können, Raum zum Mieten zur Verfügung gestellt. Im Vordergrund stehen hierbei Firmen, die sich mit Automatisation, Steuerungssystemen und Maschinenbau beschäftigen. Danebst erweitert die Leuthold Mechanik AG im Neubau im unteren und mittleren Geschoss ihre eigene Produktion, in der Maschinenbau sowie Apparate- und Werkzeugbau im Fokus stehen. HLM bietet im Kopfgebäude zudem Büros zum Mieten an und ebenso acht Studios, die als kurzfristige Unterkunft für Studenten, Auszubildende und Geschäftspartner dienen sollen. Eine Fussgängerbrücke verbindet die Gebäude Zürichstrasse 63 mit dem Neubau Kobiboden. Diese Brücke dient auch dem Energietransfer. Zum Kühlen und Heizen werden keine fossilen Brennstoffe benötigt. Dank Photovoltaikanlagen auf dem Dach und an der Fassade können jährlich 1,5 Millionen Kilowattstunden Strom gewonnen werden. Wann wird der Neubau eröffnet werden? Der Rohbau soll im Februar fer-tig gestellt werden. Geplant ist, dass die Arbeiten am Industriebau bis zum Ende des kommenden Jahres abgeschlossen werden können, auf dass im Frühling 2026 der Neubau eröffnet werden kann. Ich bin sehr optimistisch und zuversichtlich, dass es uns dank des Industriebaus gelingen wird, neue Arbeitsplätze in Einsiedeln zu schaffen: Schliesslich soll es das Ziel sein, mehr Raum für Industrie und Produktion im Klosterdorf zu generieren – auf dass Arbeiten am Wohnort vermehrt in unserer Region möglich ist. Wie hat sich die HLM AG in den vergangenen fünfzig Jahren verändert?
Wir sind raummässig immer wieder an unsere Grenzen gestossen: Roboter und Maschinen brauchen Platz – sie benötigen bis zu einem Drittel mehr Raum als Menschen. Wir müssen die Personalkosten im Griff behalten, was dazu führt, mit weniger Mitarbeitern und mehr Maschinen zu fahren. Im Wandel der Zeit hat sich überdies ein grundsätzlicher Wechsel der Strategie bei HLM abgezeichnet: Früher haben wir vorwiegend Werkzeuge und Maschinen für Kunden gebaut. Nun produzieren wir hauptsächlich selber – zum Beispiel seit zwölf Jahren Kaffeekapseln aus Aluminium (in einem Dreischichtbetrieb). Im Fokus steht also die Produktion von Massenware. Hinzu kommt, dass wir neuerdings eine wieder verschliessbare Getränkedose mit einem speziellen Deckel produzieren: Wir sind die Ersten, die eine solche Lösung mit Aluminium anbieten. Sicherlich wird Recycling ein grosses Thema bei HLM werden. Fakt ist: Wir haben längstens gemerkt, dass wir nicht mehr alles allein machen können – die Zusammenarbeit mit anderen Unternehmen und Teams steht zunehmend im Vordergrund. Wie verändert sich aktuell die Führung des Unternehmens? Ich habe das Steuer des Familienunternehmens an die nächste Generation übergeben: An meinen Sohn Thomas Leuthold, der Mitglied der Geschäftsleitung ist, an meinen Neffen Mathias Leuthold, der CEO des Unternehmens ist, und an meine Nichte Daniela Leuthold, die das Unternehmen bereits in den vergangenen Jahren gemeinsam mit mir in Richtung Zukunft gelenkt haben. Neu in die Geschäftsleitung aufgenommen wurden Kety Eberle und René Majoleth, die das Team mit frischem Wind und wertvollen neuen Perspektiven ergänzen. Bei der HLM wird Tradition lebendig gehalten, doch der Blick bleibt fest auf die Zukunft gerichtet. Das neue Führungsteam vereint bewährte Werte und innovative Ansätze und ist entschlossen, HLM als erfolgreiches Familienunternehmen fortzuführen.
Welche Rolle werden Sie zukünftig einnehmen?
In Sachen operative Geschäftsleitung trete ich zurück. Ich bleibe derweil Präsident des Verwaltungsrats bei der HLM AG. Sie gelten als Patron alter Schule und Pionier. Patrons sterben aus in unserer Welt. Was kann den Erfolg Ihres Unternehmens auch in Zukunft garantieren? Zu einem Patron wird man – man kann nicht einfach einen «neuen » Patron ernennen. Was klar ist: Die Zeiten haben sich gewandelt – heutzutage wird ein Unternehmen anders geführt als früher. Jedenfalls werde ich nun nicht einfach mit seelenlosen Managern ersetzt, die nur ihren Profit im Kopf haben. Was bleibt bei HLM: Wir denken weiterhin sozial und pflegen einen guten Umgang mit unseren Mitarbeitern. Unsere Ziele können nur erreicht werden, wenn Kreativität und Innovation aktiv gelebt werden. Daher verpflichten wir uns, unsere Mitarbeitenden in der Aus- und Weiterbildung zu fördern und zu fordern. Gleichzeitig legen wir einen hohen Wert auf das Wohlbefinden unserer Mitarbeitenden. Wo sehen Sie die HLM in fünfzig Jahren, im Jahr 2074? Angesichts eines Blicks in die heutige Welt ist das eine happige Frage, die Sie da stellen: Ich frage mich, was in den kommenden fünfzig Jahren mit dem Industriestandort in unserem Land geschieht. Ich befürchte, dass das Schwinden von produzierenden Unternehmen in der Schweiz weiterhin anhält oder sich gar noch verstärkt. Viele Möbel- und Textilfabriken haben bereits in der Vergangenheit ihren Betrieb eingestellt! Ich erinnere an eine Tuchfabrik, die vor dreissig Jahren die Produktion eingestellt hat und seither sehr erfolgreich Immobilien bewirtschaftet. Ich kann nicht ausschliessen, dass eines Tages auch die HLM AG ihr Geschäftsmodell dahingehend verändert, dass sie in Immobilien investiert und sich um die Ansiedlung anderer Unternehmen bemüht.
Fotos: Evelyne Marty